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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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entlanggeführt hatte, etwas sahen, was wir auf dem Hinweg im blinden Vertrauen auf Don Williams Zielvorgabe NICHT gesehen hatten: unser Schiff. Der Dieselmotor tuckerte bereits, der Zahlmeister wedelte von weitem mit beiden Armen winkend — oder drohend — , und als wir mit fliegendem Atem an Bord gestolpert waren, wurde der Landungssteg eingezogen, und die Reise hatte begonnen. Die Reise auf dem Fluss der Stille, der Weg zur inneren Einkehr, die Auszeit von der Wirklichkeit... ja, von wegen!
    Ich nannte bereits die Hauptregel auf kleinen Schiffen: Wer zuerst kommt, kriegt die besten Kabinen. Und da wir die Letzten waren, das Schiff aber ausgebucht, waren von den insgesamt sechzehn Kabinen der »Pandaw« die fünfzehn besten bereits vergeben: Acht waren an die Rheinländer gegangen, eine an ihren Reiseleiter, weitere vier an eine Gruppe schwedischer Kampftrinker und die restlichen beiden an zwei Paare, die wie wir als Einzelreisende unterwegs waren, ohne Gruppenbindung. Für uns war die letzte übrig geblieben, ganz unten, ganz hinten, neben Motor und Küche.
    Als wir einzogen, umhüllten uns schwarze Qualmwolken. »Die gibt es nur beim Ablegen, solange wir rückwärts fahren«, beruhigte uns Gilberto, der italienische Zahlmeister, der in Erscheinung und Temperament der Zwillingsbruder von Louis de Funés hätte sein können. »Sobald der Fahrtwind von vorn bläst, wird der Qualm weggepustet.« Er hatte Recht: Was blieb, war nur noch heftiger Dieselgeruch und der Lärm emsig stampfender Kolben.
    Dabei ist die »RV Pandaw« ein durchaus sympathisches Schiff, richtig liebenswert in seiner altehrwürdigen Erscheinung. Man fühlt sich mindestens hundert Jahre in die Vergangenheit versetzt, und tatsächlich bediente eine gewaltige Flottille solcher Schiffe in allen Größenordnungen die Flüsse Südostasiens, von 1865 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, als sie alle zerstört wurden, um den anrückenden Japanern nicht in die Hände zu fallen, angeblich mehr als 600 Schiffe.
    Das unsere stammt aus dem Jahre 1947, in Schottland noch als Schaufelraddampfer gebaut und in unruhigen Zeiten auch schon mal mit Panzerplatten und Kanonen bestückt. Bis auf zwei Erste-Klasse-Kabinen war das Schiff damals völlig offen: Auf dem Oberdeck hockten auf nummerierten, auf den Boden gezeichneten Kästchen die Passagiere, und unten, auf dem Hauptdeck, lagerten nicht die Feuersteins, sondern Kokosnüsse und Reissäcke. Erst Mitte der siebziger Jahre stellte man auf Diesel um, samt Schraubenantrieb anstelle der Schaufelräder. Nur der alte Schornstein blieb — als Attrappe; heute ist da der Wassertank drin.
    Kurz vor der Jahrtausendwende endete der Liniendienst. Mit nostalgischer Umsicht und vierzig Tonnen Holz wurde der einstige Bananenfrachter in einen Touristen-Cruiser umgebaut, nicht gerade luxuriös, aber durchaus komfortabel... jetzt mal von unserer Kabine 16 abgesehen. Und weil das so gut geklappt hat, gibt es inzwischen auch schon zwei Schwesterschiffe, »Pandaw II« und »Pandaw III«, größer und bequemer, aber reine Nachbauten. Wer authentisch über den Irrawaddy schippern will: Nur die »Pandaw I« ist echt.
    Die Glocke zum Mittagessen erlöste uns vom Heizke-ler-Mief der Kabine. In neugieriger Erwartung kletterten wir die Treppe hoch, denn die erste gemeinsame Mahlzeit an Bord ist immer eine spannende Sache: Wer sitzt wo und was schmeckt wie... wobei uns das Essen selber diesmal kaum überraschen würde, denn Smutje, der Koch, saß praktisch vor unserer Tür und ließ uns durch Geräusch und Geruch stets Anteil an seiner Tätigkeit nehmen: wie er Gemüse putzte, das Fleisch klopfte und den Pudding rührte, und wie er dazu birmesische Ohrwürmer sang. Später würden wir ihn auch noch Geschirrspülen hören, aber erst am nächsten Morgen, so ab fünf Uhr früh.
    Der Speisesaal entsprach genau der Kapazität des Schiffes: ein Zwölfertisch und vier Tische für sechs. Für Gruppen kein Problem, aber für Einzelreisende die wohl wichtigste Entscheidung über Glück und Seelenfrieden der nächsten drei Tage: die Mitesser-Frage. Zu wem sollten wir uns setzen? Was für Menschen würden das sein? Langweiler oder Dummschwätzer? Schulmeisternde Alleswisser wie ich? Kleinbürger, die sich staunend die Erste Klasse im Jumbo-Oberdeck schildern lassen und sich dann als Steuerfahnder entpuppen? Oder gar — zu schrecklich, um es auch nur zu denken — Raucher?
    Es ist ein ähnliches Problem wie die Wahl, an welcher Schlange man sich vor

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