Feuersteins Drittes
wahrscheinlich den Kern.
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, etwa dreißig Jahre sind es her, als ich den Härtetest bestehen musste. Ich war damals in Chicago auf dem Weg zum Flughafen in einen Stau geraten und kam direkt hinter einem Tiertransport zum Stehen, einem Anhänger voll mit Rindern. Drei Kuhärsche drängten gegen die hintere Laderampe und schissen über sie hinweg auf meine Kühlerhaube, eine gute halbe Stunde lang, fast ohne Unterbrechung Es ist unglaublich, ja, geradezu Ehrfurcht erregend, wie viel Scheiße eine normale, aber vom Transport aufgeregte Kuh enthält, mal drei. Und als dann auch der Scheibenwischer der Masse nicht mehr Herr wurde, musste ich, als sich der Stau endlich auflöste, mit Papiertaschentüchern und Fingern mein Sichtfenster frei kratzen. Damals habe ich zum ersten Mal erkannt, dass mir das überhaupt nichts ausmacht. Im Unterschied zu den Leuten von Hertz, als ich anschließend den Mietwagen zurückgab. *
Und so stand ich jetzt auf dem nächtlichen Sonnendeck und übergab mich den Gedanken. Denn meine Philosophie ist keine Liebe zur Weisheit, wie es das Wort verlangt, sondern entsteht stets aus dem Unbehagen des Augenblicks: Bin ich unwohl, fiebrig, überfressen oder seekrank, beginnt meine Suche nach dem Wesen des Seins, der Dialog mit dem Tod und der Angst. Es ist die hoffnungslose Sehnsucht des Ungläubigen, das Wissen um die Sinnlosigkeit der Existenz. Und was könnte sinnloser sein als schutzlos unter dem freien Himmel Asiens zu stehen, umschwärmt von den Flügeln der Nacht, von Käfern, die in die Ärmel kriechen, Mücken, die sich im Mund verirren, Ohrwürmern aus Fleisch und eitergelbem Blut, Nachtfaltern, die flatternd meine Haare raufen, und den geflügelten, dicken Kakerlaken, die so hässlich brummen und gegen die Brillengläser donnern, weil sie noch schlechtere Piloten sind als die Maikäfer.
Warum machen sie das? Wieso ist ihnen das kümmerliche Licht einer Funzelbirne so viel wichtiger als Nahrung, Sex und Leben? Was haben sie davon? Was zwingt sie, nachdem sie sich Millionen Jahre erfolgreich ohne Kunstlicht entwickelt hatten, zu diesem selbstmörderischen Sprung vor den Scheinwerfer? Treibt sie vielleicht das gleiche Stück Genenstrang, das uns Menschen ins Showbusiness lockt? Meinen sie, sie könnten Superstars werden? Halten sie das bisschen Licht für Erfolg? Oder gar für den Erlöser?
Die beste Philosophie gerät ins Wanken, wenn man dabei Mücken atmet. Mit knirschenden Schritten machte ich mich auf den Abstieg in die Kabine und ahnte, dass ich gerade die letzten Exemplare einer aussterbenden Insektenart zertrat. Meine Frau hatte alle Lichter gelöscht und sich von innen verbarrikadiert, wahrscheinlich, weil sie vermutet, dass die größeren Falter Nachschlüssel besitzen. Sie öffnete als Nachtgespenst, von Fuß bis Haarschopf in ihr Bettlaken gewickelt, stieß mich wortios in die winzige Badekabine und sprühte Insektizide durch das Schlüsselloch. Und obwohl alle Scheiben mit Insektengittern bewehrt waren und sie sonst selbst in der Arktis nachts alle Fenster aufreißt, bestand sie darauf, dass alles luftdicht verschlossen bleibt. Wenigstens eine Stunde lang. »Damit das Insektenspray wirkt.«
Es wirkte vor allem an uns selbst, und ich musste an Kafka denken und seine Verwandlung in einen Käfer. Hätte es damals schon Insektenspray gegeben, wäre die Geschichte nach einem Absatz zu Ende gewesen...
Da meine Frau auch in den Stunden höchster Not immer sofort einschläft und mich allein der Verzweiflung überlässt, durfte ich zwar das Fenster schon nach kurzer Zeit öffnen, erreichte damit aber gar nichts. Denn unmittelbar vor der Reise hatte man zur Reinigung der Kabine die Holztäfelung abgebeizt — und zwar mit Diesel. Innen und außen. Was also an Killerchemie entwich, wurde durch Dieselmief ersetzt, und die einzige Erleichterung, die ich mir verschaffen konnte, war jetzt nur noch die Vorstellung, ich wäre der neue irakische Diktator und dürfte Don Williams nach Herzenslust foltern. Mit seinen Schreien in den Kammern meiner Phantasie versank ich im Tiefrausch der Chemie, so schwarz und so gründlich, wie ihn wohl nicht mal unsere Schweden jemals erlebten.
Bin ich noch glaubwürdig, wenn ich sage, dass es trotzdem eine wunderbare Reise war? Schlammige Ufer wechselten mit Buschland und Reisfeldern, ein paar Wasserbüffel, das eine oder andere Fischerboot. Wir besuchten winzige Dörfer, die nur durch den Fluss miteinander verbunden sind,
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