Feuersteins Ersatzbuch
und da liegt er nun aufgetürmt, bis zu 3000 Meter dick. Das wiegt ein bisschen, wie jeder weiß, der mal eine Dachlawine aufs Dach gekriegt hat, und sorgt durch den enormen Druck dafür, dass die Eismassen — die ja, physikalisch gesehen, immer noch flüssig sind — am Inselrand, wo die Berge Lücken haben, ins Meer hinausgedrückt werden. Jawohl, liebe Schüler, das sind die EISBERGE, oft über 1000 Meter hoch und mehrere Kilometer lang, majestätisch, bizarr und unberechenbar: Da der größte Teil ihrer Masse unsichtbar unter Wasser liegt, weiß man nie, wie viel schon da unten geschmolzen ist — und plötzlich kippen sie um, mit Flutwelle und Riesengetöse, und wehe dem Boot, das den Respektabstand nicht einhält. Aus kleinen, im Packeis eingeschlossenen Eisbergen hackt man übrigens das Trinkwasser heraus, wunderbares, Millionen Jahre altes Wasser, das beim Auftauen sanft zischt, weil darin Millionen Jahre alte Luftbläschen eingekerkert waren. Tja, wenn Luftbläschen erzählen könnten! Aber wahrscheinlich hätten sie gar nichts zu sagen, schließlich waren sie Millionen Jahre im Eis eingeschlossen... was haben sie da schon Großes erlebt?
F — FRÄULEIN SMILLAS GESPÜR FÜR SCHNEE
habe ich beim Hinflug angefangen und beim Rückflug beendet, die ideale Reiselektüre für Grönland, wenn man beim Umblättern über den Buchrand schaut und blaugrüne Eisberge sieht, und Dutzend verschiedene Weiß töne von Schnee, und das Meerwasser, dessen Kälte man nicht nur spürt, sondern sieht — da wird sogar der überkonstruierte Schluss des Krimis erträglich. Natürlich haben die Grönländer inzwischen ein Gespür für Fräulein Smilla entwickelt (Gespür heißt auf Dänisch übrigens fomemmelse ): Smilla-Touren werden angeboten, Schiffe heißen Smilla, aber den (ohnehin nicht so guten) Film haben sie bisher nur im Fernsehen gesehen. Es gibt kein Kino in Grönland.
G — GOURMETS
mit feuchten Träumen von Fisch-Sinfonien sollten lieber nach Marseille. Die einheimische Esskultur ist karg wie das Land: Ungewürzte Transuppe mit allem drin, was man angelt oder schießt, je fetter, desto besser, null Gemüse; die Vitamine holte man sich früher nicht im Supermarkt, sondern aus roher Robbenleber, frisch am Jagdort rausgesäbelt. Im Hotel geht’s natürlich raffinierter zu, wenn auch nicht sonderlich abwechslungsreich: Heilbutt, Lachs und Dorsch (fast immer köstlich), Rentier (vorzüglich), Moschusochse (schmeckt überhaupt nicht nach Moschus), Robbe (schmeckt nach Moschus) und Wal (knorplig-zäh). Vom letzteren gibt’s übrigens die Spezialität des Landes: Mattak, kleine Würfel aus roher Walhaut mit massig Speck dran. Wenn man Mattak lang genug kaut, entwickelt sich angeblich ein nussartiger Geschmack. Ich habe Mattak bis zum Kieferbruch gekaut, aber alles, was sich entwickelte, war Widerwille.
H — HUNDEÄQUATOR
ist ein anderer Name für den Polarkreis (66°3o’), denn nördlich davon sind in Grönland ausschließlich Polarhunde zugelassen, zwecks Rassenreinheit; Einfuhr oder auch nur das Mitbringen anderer Hunde ist streng verboten, Fotos Ihres Köters dürfen Sie aber mitführen.
I — INUIT
nennt man politisch korrekt die Grönländer. »Eskimo« ist ein rassistisches Schimpfwort und heißt »Rohfischfresser«. Grönland selbst heißt Kalaallit Nunaat, das »Land der Menschen, die sich der Natur unterwerfen«, allerdings nicht unbedingt wie Greenpeace das versteht (siehe M wie MULL und Q wie QUOTEN).
J-JEDER
kann sich in Grönland niederlassen, sofern er den Kampf mit der Bürokratie besteht, den Horrorpreis auch für das einfachste Holzhaus zahlt und zufrieden ist, dass man das Grundstück nur pachten, aber nicht kaufen kann. Elke Meissner aus Sylt und Dieter Zillmann aus Berlin haben das schon vor zwanzig Jahren gemacht. Im idyllischen Rodebay (30 Häuser, 52 Menschen, 0 Autos) haben sie ein kleines Gästehaus samt Schiff (»Smilla«, was sonst), urgemütlich, vorausgesetzt, man scheut weder Plumpsklo noch 12-Bett-Schlafsaal unterm Dach (mit Schnarch-Drohung kriegen Mehrbett-Hasser wie ich das Sofa im Wohnzimmer). Elke hat die Haarfarbe von Polarhunden und den Instinkt einer Eisbärin, sie weiß absolut alles über Grönland; Dieter tendiert zum Grübeln und Tüfteln und hat mir eine selbst verfasste, handgezeichnete, elfseitige Anleitung zum Bau eines Hundeschlittens geschenkt, für den Fall, dass der nächste deutsche Winter mal richtig streng wird. Ich warte noch darauf.
K —
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