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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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KRIMINALFORSORGEN
    stand auf dem winzigen Gebäude, das ich vom Hotelfenster aus sah, links neben der Bucht von Ilulissat, wo ständig die frisch gekalbten Eisberge vorbeitriften. Kriminalforsorgen kann nur »Verbrechensverhütung« heißen, stimmt’s? Stimmt natürlich nicht, denn Dänisch ist unlogisch. Es heißt »Gefängnis«, ist aber keins, jedenfalls kein richtiges. Grönländer kann man nicht einsperren, sonst werden sie wahnsinnig — so steht’s auch in »Fräulein Smilla« — also gibt man ihnen Antabus (siehe S wie SUFF) und lässt sie tagsüber frei, auch Mörder. Nur schlafen müssen sie im Knast. Es gibt übrigens erstaunlich viel Mord und Gewalt, und trotzdem ist Grönland eines der sichersten Reiseländer der Welt, denn die Inuit sind im Herzen friedlich und töten nur Freunde und Verwandte.

    L — LAMPENLÖSCHSPIEL
    hieß der Partnertausch bei den alten (aber damals jungen) Inuit, davon hatte ich schon im Alaska-Kapitel von Feuersteins Reisen erzählt: Waren Fremde zu Gast, gab es erst Spottgesänge, um Streitigkeiten zu schlichten, dann Trommeltänze, um die Stimmung anzuheizen. Danach wurden die Lampen gelöscht, und der Fremdling wurde zum Bettgenossen. Ethnologen sagen, das diente der genetischen Regeneration, um in den winzigen, isolierten Dorfgemeinschaften die Inzucht zu verringern, ich aber sage, es diente auch ein bisschen dem Spaß, denn es gab ja weder Buch noch Fernsehen, und man kann schließlich nicht die ganze Nacht nur über Robbenjagd reden. Und ich sage noch was:
    Der Grund, warum die Lampen gelöscht wurden, war nicht die Verdunklung, sondern genau das Gegenteil. Da die Tranlichter nämlich ganz fürchterlich rußten, pustete man sie aus, damit der Rauch verschwand und man endlich erkennen konnte, wen oder was man genetisch auffrischte (siehe auch Z wie ZAPPENDUSTER).

    M — MÜLL
    bleibt liegen, soweit ihn die Hunde nicht fressen. Abwässer fließen ins Meer (durch beheizte Rohre, damit die Scheiße unterwegs nicht festfriert). Das Meer ist so kalt, dass es trotzdem sauber aussieht, keine Algen, keine Bakterien, keine Zersetzung. Auch Leichen kommen hier nie mehr an die Oberfläche. (Für Ertrunkene, die nicht geborgen werden konnten, gibt es auf den Friedhöfen eine eigene Sektion — was ich irgendwie unlogisch finde, denn woher will man wissen, dass sie ertrunken sind, wenn sie gar nicht geborgen wurden? Vielleicht hat sie der Eisbär gefressen? Aber was soll ich mich einmischen.)

    N — NASENREIBEN
    statt küssen ist ein europäisches Märchen, über das sich die Grönländer totlachen — auch darüber berichtete ich schon aus Alaska. Man küsst hier sich genau wie bei uns, aus Platzgründen aber wahrscheinlich seltener. Denn da in Grönland ein Einwohner auf 40 Quadratkilometer kommt, braucht er — statistisch gesehen — 80 Quadratkilometer, um einen Kusspartner zu finden. Und 120 Quadratkilometer, wenn einer zuschauen will. Kein Wunder also, dass ich während der ganzen Woche kein einziges Mal küssende Grönländer sah.

    O-OLE DORPH
    ist der Bürgermeister von Ilulissat. Er gewann damals gerade die Wahl mit einem Zuwachs von 600 Stimmen — ein Erdrutsch bei nur 4000 Wählern. Er steht hier einer Hightech-Gemeinde vor, Computer satt, modernste Telefonanlagen: Dänemark ist großzügig. Bis 1953 war Grönland dänische Kolonie, erst seit 1979 ist die Selbstverwaltung in Kraft, nur Justiz und Außenpolitik werden noch von den Dänen bestimmt. Vielleicht ist es das schlechte Gewissen, das sie so großzügig macht — wer ist heute noch gern Ex-Kolonialmacht? Für die Inuit ist das Ergebnis widersprüchlich: Wer Schule, Job und modernes Leben annimmt, hat es leicht. Der Rest ist arbeitslos und säuft... und das sind nicht wenige. Introvertiertheit ist der Nationalcharakter der Grönländer und geht bis zur Sturheit: Grönland ist das bisher einzige Land, das aus der EG wieder ausgetreten ist (1985). Ich fragte Ole Dorph, warum an seiner Tür nur »Borgmester« steht und nicht auch die grönländische Amtsbezeichnung wie auf den anderen. Weil er das nicht mag, sagt er. Auf Grönländisch heißt Bürgermeister nämlich »Leithund«. Und das ist undemokratisch.

    P — PUULUKLIP TARTUNAA TAMARMIUTILLUGU SIATAQ
    heißt Schweinebraten, auch das haben Sie sich natürlich aus dem Alaska-Bericht gemerkt. Während Dänisch unlogisch, aber erlernbar ist, ist Grönländisch der nackte Horror: Eine polysynthetische Sprache, sagen die Forscher, das klingt nach Wortchemie und ist

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