Feuersteins Ersatzbuch
000 Einwohner), man findet jede Menge Hotels, aber da unten ist es grün, eisfrei und regnerisch. Wegen grün, eisfrei und regnerisch fährt man nicht nach Grönland, dafür haben wir Hamburg.
Und Ostgrönland? Abzuraten. Da kann man nicht hin, jedenfalls nur sehr schwer. Alfred Wegener (der mit der Kontinentalverschiebungstheorie) versuchte es 1930 mit dem Propellerschlitten, scheiterte und starb. Und zu Fuß wie Reinhold Messner und Arved Fuchs, tausend Kilometer quer übers Gletschereis, ist auch nicht jedermanns Sache.
Schließlich Nordgrönland, nur noch 7oo Kilometer zum Pol, das Grönland von Grönland. Aber da DARF man nicht hin, dort liegt Thule, der Stützpunkt der USA, wo der Kalte Krieg allein schon aus Temperaturgründen für alle Zeit weitergeht, und dafür braucht man eine Sondergenehmigung vom dänischen Außenministerium. Trotzdem das ultimative Ziel für Touristen, die keine Touristen mögen, denn es gibt nur ein einziges Hotel da oben. Mit nur fünf Zimmern.
Grönland ist eine Platzverschwendung: die größte Insel der Welt, 2600 Kilometer lang, 1000 Kilometer breit, siebenmal die Fläche von Deutschland, aber nur 55 000 Einwohner und 0 Asylanten.
Grönland ist eine Riesengefahr für Holland: Würde das Inlandeis schmelzen, stiege der Meeresspiegel um 6,5 Meter, und weg sind die Tomatenfabriken und Coffee-shops.
Grönland ist ein Traum von Nichts, in vielen, unglaublichen Variationen. Es gibt nichts Vergleichbares, und einmal im Leben sollte man dort gewesen sein.
A-ANKOMST
ist das erste Wort, das man in Grönland liest. Es steht auf dem Eingang zum Flughafen Kangerlussuaq, ist dänisch und heißt Ankunft. Daraus folgerte ich messerscharf, dass Abflug ABHAUST heißt, er heißt aber AFGANGE. Dänisch ist unlogisch.
B — BIRKEN
sind auf Grönland nur wenige Zentimeter hoch. Oft glaubte ich, ich stünd im Moos, aber ich stand im Wald. Die Botaniker sagen Krüppelgewächse dazu, aber so ein abfälliges Wort würde ich niemals hinschreiben. Für mich sind das Behindertengewächse.
C-CHAOS
ist der Anfang jeder Hundeschlittenfahrt. Anders als in Alaska, wo die Hunde ordentlich und paarweise ins Geschirr kommen, ziehen in Grönland bis zu fünfzehn Tiere fächerförmig an Einzelschnüren. Wäre ich Pythagoras gewesen, hätte ich an dem Wunder, dass sich der Schlitten trotzdem vorwärts bewegt, obwohl die meisten Hunde seitwärts ziehen, das Kräfteparallelogramm entdeckt. Zur Berechnung wäre ich allerdings niemals gekommen, da diese Ziehtechnik ständig zu den wirrsten Verknotungen führt, die sich aber auf übernatürliche Weise immer von allein entflechten, auch wenn der eine oder andere Hund kilometerweit und wild jaulend mitgeschleift wird, bizarr in den Seilen gefesselt wie die Mädchen in einem japanischen SM-Porno. Und anders als die temperamentvollen, ein bisschen dummen, aber im Grunde liebenswürdigen Alaska-Huskies sind die Polarhunde Grönlands einfach nur Hunde. Sie wollen fressen, raufen und ficken, und zwar möglichst gleichzeitig, auch während der Fahrt. Zusätzlich, vor allem beim Warmlaufen, scheißen sie, mit einem interessanten Ergebnis: Die Scheiße gefriert in der trockenen Polarluft sofort und fetzt wie Gewehrkugeln über den Schlitten. Will man nicht getroffen werden, empfiehlt es sich, nicht auf die Landschaft zu schauen, sondern auf fünfzehn Hundeärsche, obwohl die Landschaft eindeutig schöner ist. Der Schlitten hat Platz für zwei, der Hundeführer vorn, der Passagier (oder die tote Robbe) hinten, und die wichtigste Verkehrsregel: Hundeschlitten haben gegenüber anderen Fahrzeugen immer Vorfahrt. Am härtesten ist es bergauf, da muss man zur Schonung der Hundekraft runter vom Schlitten und hinterherhecheln, sich aber gut daran festhalten — wer loslässt, ist verloren, die Meute würde man nie wieder einholen. Los heißt dama, links heißt ju-ju-ju und rechts didli-didli-didli oder so ähnlich. Halten ist das schwierigste: Egal, was man brüllt, die Hunde hören sowieso nicht zu, und der Bremsweg kann schon mal einen Kilometer oder mehr betragen. Wenn aber wirklich mal alles durcheinander gerät, hat der Schlittenführer eine Peitsche aus Robbenhaut, mit der er auch im wildesten Knäuel immer genau jenen Hund trifft, den er meint. Mich hat er zweimal getroffen.
E — EISBERGE
sind keine Eisberge, sondern Schneeberge, hartgepresst über Jahrmillionen. Denn das Innere Grönlands ist eine Mulde, ständig fällt Schnee, der wegen der Kälte nicht tauen kann,
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