Feuersteins Ersatzbuch
müsse man bei guten Frauen schon mal Scheiße fressen — und wer weiß das besser als ich. Er würde sich aber sicherer fühlen, setzte G. fort, wenn wir während seiner Reise im täglichen Kontakt stünden, am besten durch einen Faxwechsel: Er würde mir seine Ängste und Nöte schildern, die ich dann mit Expertenrat lindern oder gar beseitigen könnte. Und anschließend würde die >Süddeutsche< das abdrucken, fügte er schlitzohrig hinzu, weil er genau wusste, dass ich das für ihn allein niemals machen würde.
Dann fuhr G. los, und wir tauschten zwölf Tage lang Faxe aus.
Kurz vor dem geplanten Abdruck ereignete sich in Indien ein schweres Erdbeben, von dem auch der Urlaubsort betroffen war. Man beschloss deshalb, die Veröffentlichung zu verschieben, denn zu diesem Zeitpunkt hätte der lockere Ton unseres Briefwechsels frivol und taktlos gewirkt, zumal mein ehrlicher, gut gemeinter Expertenrat von anderen Menschen immer wieder als zynisch und boshaft missverstanden wird. Das ist das alte Dilemma der Humoristen-Zunft: Wann darf nach einem Unglück wieder gelacht werden? Laut Woody Allen ist Humor »Tragödie plus Zeit«; über den Dreißigjährigen Krieg dürfen wir uns längst offen auf die Schenkel klopfen und auch Hitler wird allmählich komisch. Aber wer setzt den Maßstab? Wer verkündet die Regeln, bei wie vielen Toten nach wie vielen Tagen das Lachverbot endet? Und vor allem: Wer befolgt sie, wenn Typen wie ich bei den größten Tragödien am meisten lachen müssen, schon aus Abwehr und Selbstschutz?
Aber das nur nebenbei. Denn in dem folgenden Briefwechsel geht es gar nicht um Tragödien, sondern um Wellness. Obwohl das in meinen Augen auch eine ziemlich traurige Angelegenheit ist.
München, 3. November
Verehrter Feuerstein,
obwohl ich nicht nach Indien wollte — überall hin, aber nicht nach Indien — , hat meine Frau im Rahmen einer tückischen Absprache mit der Reiseredaktion einen so genannten Wellnessurlaub für sich und für mich ebendort gebucht. Die Reise führt uns einige Tage nach Neu-Delhi und dann auf einen Ausläufer der Himalajakette, 1000 Meter über der heiligen Stätte Rishikesh am Ganges. Obwohl wir dort im luxuriösen Mandarin Ananda in the Himalayas untergebracht sind, habe ich Angst: vor frei liegenden Stromkabeln, Lepra, sämtlichen Pest- und Fieberarten sowie anderen Krankheiten, die sich alle Indienreisenden, die ich kenne, bisher dort geholt haben. Zum Beispiel die Amöben-Ruhr. Da ich weiß, dass Sie schon viel rumgekommen sind in der Welt, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, auf was und wen man als primär ängstlicher Mensch in Indien achten sollte. Danke.
Ihr G.
Köln, 3. November
Lieber G.,
Angst vor freiliegenden Stromkabeln brauchen Sie nur in Deutschland zu haben. In Indien werden frei liegende Stromkabel sofort geklaut. Problematisch hingegen ist Ihre Angst vor der Amöben-Ruhr. Denn Parasiten spüren diese Angst, weil sie darin — zu Recht—eine Schwäche vermuten, und werden Sie sofort befallen. Da Sie aber einen Wellnessurlaub gebucht haben, kriegen Sie ohnehin nichts Anständiges zu essen, und die Amöben werden elend verhungern. Ich finde das ziemlich schäbig, denn vergessen Sie nicht: Auch wir Menschen sind Schmarotzer im Schöße der Natur. Gute Reise.
Ihr Herbert Feuerstein
München, 6. November
Lieber Feuerstein,
vielen Dank für Ihren Rat. Ich habe mir heute noch eine Hepatitis-Prophylaxe spritzen lassen, ferner sind wir jetzt im Besitz von Malaria-Tabletten, die aber nach Auskunft der Ärztin im Extremfall nichts nützen. In Delhi werden wir im neuen Grand Hyatt untergebracht sein. Die Hotels sind furchtbar teuer. Zwar ist dort die Gefahr, an Amöben-Ruhr zu erkranken, geringer. Andererseits frage ich mich, ob es angemessen ist, auf diese Art und Weise durch ein so armes Land zu reisen. Aber: Wellness ist Wellness! Oder?
Ihr G.
Köln, 6. November
Lieber G.,
nein. Wellness ist überhaupt nicht Wellness, wenn man sich quengelnd und voller Schuldgefühle darauf zu bewegt. Vergessen Sie nicht: Sie sollen sich erholen und nicht Mutter Teresa ersetzen. Natürlich gebe ich Ihnen gerne und jederzeit den gewünschten Rat. Derzeit würde dieser lauten: Bleiben Sie zu Hause.
Ihr Herbert Feuerstein
PS: Machen Sie sich keinen Kopf wegen der hohen Hotelpreise. Luxushotels schaffen eine Menge Arbeitsplätze, und mit fünf Hunnies pro Tag und Zimmer tun Sie mehr für Indien als mit einem reinen Gewissen im Schlafsack.
Delhi, 10. November
Lieber
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