Feuersturm: Roman (German Edition)
und es gab ein Detail, dessen Anblick sie immer wieder fesselte: Ihr Abbild war in ein schwarzes Korsagenkleid gewandet, kehrte dem Betrachter den Rücken zu und sah sich halb über die Schulter um. Dies war das sinnlichste, kraftvollste Kunstwerk, das sie je gesehen hatte. Es stammte von einem früheren Verehrer, Drake Ferrer. Er war vieles gewesen: Maler, Architekt, Brandstifter. Aber er war auch die einzige andere Laterne, der sie je begegnet war. Und er war tot.
Doch er hatte diesen fremdartigen, bezwingenden Teil ihrer selbst eingefangen, dieses Schattenselbst, von dem sie sich nicht recht losreißen konnte und das ihr aus schwarzer Kohlefarbe und schimmerndem Glimmer entgegenschaute. Er hatte das Gemälde Ischtar betitelt, nach einer babylonischen Göttin der Liebe und des Krieges. Ihre größte Furcht war, selbst so zu werden, und sie behielt das Bild stets in ihrer Nähe, um sich daran zu erinnern, dass sie diesen Weg nicht einschlagen wollte. Dass sie keine Zerstörerin werden wollte. Dass sie nicht wie Drake werden wollte.
Stimmen schreckten sie auf; sie war dergleichen in der Stille ihres Hauses nicht gewöhnt. Aus dem schattigen Korridor sah sie Brian vor dem flackernden Schirm eines großen Flatscreen-Fernsehers am Boden sitzen und an der Fernbedienung herumfummeln. Geräuschlos tappte sie auf nackten Füßen zu ihm.
Sie hockte sich neben ihn. Wasser troff von ihrem nassen Haar auf ihre Schulter, und sie empfand eine seltsame Ehrfurcht, beinahe wie ein Höhlenbewohner, der sich an ein Feuer kauerte. Das Bild war glasklar, als Brian die Kanäle durchschaltete: dürre Modells, strahlend bunt wie Schmetterlinge, stolzierten über einen Laufsteg; ein Koch hielt einen Hummer hoch; eine Frau sprach vor einem blau leuchtenden Monitor Japanisch.
»Wow. Schick.« Sie stieß einen leisen, bewundernden Pfiff aus.
»Ich bin froh, dass er dir gefällt.«
»Danke. Aber das hättest du nicht tun müssen. Wirklich nicht.« Sie nagte an ihrer Unterlippe und fürchtete sich vor der nächsten Frage: »Aber … wo kommen all die Sender her? Ich hab gar keinen Kabelanschluss …«
»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte er mit einem listigen Grinsen. Brian stellte irgendwelche finsteren, geheimnisvollen Dinge mit der Technik an, Dinge, die sie nicht verstand und von denen sie nicht sicher war, dass sie legal waren: Überwachungsgeräte, Stimmenrekorder; und dann war da noch eine irrsinnig umfangreiche Sammlung an Technomusik. Die meisten seiner Spielzeuge landeten irgendwann in den Händen der DAGR. Aber sie fragte ihn nie, woher diese Dinge kamen oder welche Art von Forschungen er genau für die Universität durchführte. Niemand von ihnen fragte ihn danach.
Sie blinzelte das Bild einer brutalen Naturdoku an, auf dem ein blutüberströmtes, bellendes Robbenjunges zu sehen war, das versuchte, einem Eisbären auf einer weißen Eisfläche zu entkommen. Sie wusste, dieser Heuler würde ihr in der Nacht mehr Albträume bereiten als alles, was sie heute gesehen hatte. »Äh … können wir vielleicht den Sender wechseln?«
Brian schaltete um. Eine Frau mit einem Mikrofon schritt in einem körnigen, hausgemachten Video über eine Bühne wie ein Tiger durch seinen Käfig. Anya schätzte sie auf Anfang fünfzig. Sie trug einen mittelblauen Hosenanzug und hatte wasserstoffblondes Haar, das sie sorgfältig in spitzen Fransen über ihre glühenden blauen Augen drapiert hatte. In diesen Augen brannte mehr als nur Leidenschaft, aber Anya konnte nicht definieren, was es war. Eine gläserne Phiole hing an einer Goldkette an ihrem Hals. Ihre Stimme war voluminöser, als es ihre zierliche Gestalt vermuten ließ, und sie erscholl wie eine Glocke über den Köpfen ihrer Zuhörer.
»Nichts ist unmöglich, meine Freunde. Mit genug Willen und Fantasie können auch Ihre Träume wahr werden. Das Universum will Sie glücklich sehen …«
Brian verzog das Gesicht und schaltete erneut um.
»Moment, schalt noch mal zurück.« Anya umfasste seinen Arm.
Brian schaltete wieder zurück, und Anyas Aufmerksamkeit wurde von einem gelben Banner am unteren Bildrand gefangengenommen: Wunder für die Massen . Sie erkannte den Schriftzug. Es war derselbe wie der auf dem Scheckfragment aus Bernies Kamin.
»Wer ist das?«, fragte Anya.
Brian seufzte. Sein Gott war der Pragmatismus, und er hatte wenig Geduld mit irgendetwas, das nicht funktionierte. »Hast du bis heute unter einem Stein gelebt? Das ist Hope Solomon, die Anführerin eines
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