Feuersuende
könntest – wie soll ich sagen – dein eigenes Leben leben?“
Lokan lachte. „Ein schöner Traum. Nur leider völlig unrealistisch. Ich muss mich an eines der Reiche binden. Du kannstdich in der Unterwelt nicht einfach selbstständig machen. So lauten nun einmal die Regeln. Zu keinem der Götter zu gehören geht schlichtweg nicht.“
Bryn blieb vor ihm stehen und sah ihn an. Sie war im Begriff, etwas zu sagen, als ein neuerlicher Feuerball heranrollte. Sofort ergriff Lokan sie am Handgelenk und zog sie in eine der Nischen, wo sie von der Hitze des Flammenstrahls eingehüllt wurden. Als die Gefahr vorüber war, gingen sie Hand in Hand weiter, die Finger ineinander verschlungen.
„Ich möchte dich etwas fragen“, sagte er nach einer Weile. „Warum hat Boone mir geholfen?“
„Hat er dir das nicht erklärt?“
„Doch. Aber ich trau ihm nicht so ganz. Ich weiß nicht, ob er wirklich offen zu mir gewesen ist. Nehmen wir ruhig an, er wollte sich tatsächlich revanchieren und eine alte Schuld begleichen.“ Das war unter Wesen aus der Unterwelt und Supernaturals jeder Art durchaus gang und gäbe. „Nehmen wir weiter an, dass er es dir zuliebe getan hat. Kann ich mir alles vorstellen. Trotzdem hat mir diese Geschichte zu viele Löcher.“ Boone hatte seine Schwester in äußerste Gefahr gebracht, und so war Lokan auch nicht hundertprozentig sicher, was sich unter dem Zuckerguss der Hilfsbereitschaft wirklich verbarg.
Aber Antworten auf seine Fragen bekam er nicht, denn Bryn unterbrach ihn. „Wir sind da.“
Lokan musste zweimal hinsehen. Vor einem Moment hatte noch ein endlos scheinender Tunnel vor ihnen gelegen. Jetzt aber war er zu Ende, und vor ihnen befanden sich zwei Türen, jede bewacht von einer riesigen Schlange, die sich hoch aufgerichtet hatte. „Also doch Schlangen“, meinte Lokan.
„Sebi“, sagte Bryn und zeigte auf die eine Tür. Dann zeigte sie auf die andere. „Reri.“
Sie drückte seine Hand, die sie noch immer hielt, und ihre Blicke trafen sich. „Ich liebe dich“, flüsterte sie. „Und ich liebe meine Tochter. Denk immer daran, auch wenn du glaubst, mich hassen zu müssen.“
Ihm gefiel nicht, wie sie das sagte. „Was ist …?“
Die Schlangen richteten sich noch höher auf. Ein unverkennbarer Gestank nach Schwefel erfüllte die Luft. Hier also kamen die Feuerstöße her, die ihnen so zugesetzt hatten, als sie auf dem Weg hierher waren. Und jetzt sah es so aus, als wollten sie noch einmal Feuer spucken.
„Sprich mit mir jetzt die Namen aus. Jetzt. Sofort.“ Bryns Stimme klang angespannt.
Und so riefen sie gemeinsam: „Sebi. Reri.“
Die Schlangen sanken zu Boden, und beide Türen flogen auf.
Bryn fiel ihm um den Hals und gab ihm einen irgendwie ungelenken Kuss. Lokan deutete es so, dass sie vor Freude überwältigt sein musste, und er selbst war ebenfalls guter Dinge. Sie hatten es tatsächlich bis hierher geschafft. Sie waren am Ziel ihrer Reise angekommen. Alles, was noch blieb, war, durch diese Türen zu treten und die Barke des Sonnengottes zu besteigen, die sie wieder ans Tageslicht bringen würde. Durch die offenen Türen konnte er schon den ersten rot-goldenen Schimmer des Sonnenaufgangs sehen.
„Spielt es eine Rolle, welche von beiden Türen wir nehmen?“, fragte er. Seine Kehle war trocken, und sein Puls raste.
Sie zitterte, aber sie biss die Zähne zusammen. Kopfschüttelnd sagte sie: „Nein. Geh nur zu.“
Plötzlich war er alarmiert. Hier stimmte etwas nicht. „Geh du vor“, erwiderte er.
Er wollte einen Schritt von der Tür weg zurücktreten, da warf sich Bryn mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, gegen seine Beine und brachte ihn so rückwärts zu Fall. Das Überraschungsmoment gab den Ausschlag. Lokan fiel rückwärts durch den geöffneten Durchgang. Während Bryn zurückblieb. Schluchzend lag sie am Boden.
„Verdammte Scheiße! Was ist hier los?“ Lokan rappelte sich auf und versuchte, zu Bryn zurückzukommen. Noch stand die Tür offen. Es ging nicht. Der Weg war versperrt, und langsam schloss sich die Tür. „Bryn!“, schrie er und versuchte, Händeund Füße in den Durchgang zu bekommen, um sich gegen die sich unbarmherzig schließende Pforte zu stemmen. Aber wie von einer unsichtbaren Wand wurde er daran gehindert. „Bryn!“, schrie er noch einmal aus Leibeskräften.
Bryn lag auf der anderen Seite am Boden. Sie hob den Kopf, und sie schauten sich durch den schmaler werdenden Spalt an. „Es tut mir so leid“, sagte sie und
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