Feuersuende
Wertvollste?“, fragte sie. „Was ist denn das, Lokan Krayl? Antworte. Sag es mir. Ist es dein Leben? Oder das deiner Tochter? Oder das deiner Brüder? Was ist für dich das Wertvollste? Worum, um welche Gabe bittest du mich? Oder ist es vielleicht dein Wunsch, Rache zu nehmen, der dich am meisten antreibt?“
All das – und noch mehr.
Eine Mischung aus Ärger und Reue schnürte ihm die Kehle zu. Seine Tochter … Bryn … seine Brüder … er selbst … die Rache an Sutekh . Da kam eine ganze Liste zusammen, aber welche Kriterien entschieden über die Reihenfolge? War es die Reihenfolge, die ihm spontan in den Sinn gekommen war? Waren das seine Prioritäten? Dana an erster Stelle, noch vor Bryn?
„Ich möchte sie hier nicht zurücklassen“, antwortete er schließlich. Dessen jedenfalls war er sicher.
„Es gibt einen Preis für deine Rückkehr ins Leben, ein Opfer, das gebracht werden muss“, erklärte Isis. Es war, als käme ihre Stimme von überall her. Von vorn, hinten, links und rechts hörte er sie, sodass er sich leicht verwirrt einmal um die eigene Achse drehte, während sie sprach. „Eine Seele wird entlassen, eine andere muss dafür zurückbleiben. Möchtest du bleiben, damit sie gehen kann?“
„Ja.“
„Dann war alles, was sie getan und erlitten hat, vergebens. Sutekh wird sie aufspüren. Sie und deine Tochter. Und Brynjahat ihm nichts entgegenzusetzen. Er wird sich nehmen, was er haben will, und eine Spur von unschuldigen Opfern hinter sich lassen.“
Lokan wusste das. Es war nicht zu bestreiten. Jahrhundertelang war er selbst ein Teil der Vernichtungsmaschinerie Sutekhs gewesen.
„Habe ich ihm denn etwas entgegenzusetzen? Immerhin hat er mich schon einmal getötet.“
„Mit deinem Einverständnis.“
Wie wahr. Er hatte sein Leben für das seiner Tochter hingegeben. Aber wer konnte vorhersehen, ob er sich nicht bald wieder in exakt derselben Lage wiederfinden würde? Bei dem bloßen Gedanken kochte in ihm das Blut.
„Wie auch immer“, meinte Isis, „die Frage spielt keine Rolle mehr. Die Entscheidung ist gefallen, bevor sie hierherkam. Brynja kannte den Preis.“
Er fühlte sich, als hätte die Krokodilgöttin Ammut ihm ein Stück aus der Brust gebissen – dort, wo das Herz sitzt. Er war dicht davor, Isis der Lüge zu bezichtigen, aber er hielt seine Zunge im Zaum. Denn so gern wie er ihr diese Worte zurück in den Rachen gestopft hätte, wusste er doch, dass es stimmte, was sie sagte. Es hatte die ganze Zeit Hinweise darauf in Hülle und Fülle gegeben. Er hatte sie nur nicht sehen wollen.
„Gibt es nichts, was du tun könntest?“ Wie in einem Mühlrad drehten sich in seinem Kopf die unterschiedlichsten Möglichkeiten im Kreis. Der Ertrag allerdings war lächerlich. „Sie stammt aus Izanamis Linie. Und aus der von Dutzend anderen Göttern auch. Vielleicht sogar aus deiner“, setzte er hinzu. Er warf Isis diesen Köder hin, obwohl Bryn ihm ausdrücklich versichert hatte, dass dies nicht der Fall war.
„Sie ist ein Kind aller und Abkömmling von vielen.“ Isis’ Antwort kam nicht prompt, sondern mit einer Verzögerung, sodass Lokan stutzte und ins Grübeln kam. Gab es also doch eine Verbindung zwischen Bryn und Isis? Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Bryn hatte nur abgestritten, eineIsistochter zu sein. Osiris hatte sie dagegen als seine Tochter angesprochen. Dann lag doch die Möglichkeit nahe, dass …
„Dann ist es Horus“, warf er ein. „Bryn ist die Tochter deines Sohns.“
Isis, die jetzt wieder in menschenähnlicher Gestalt vor ihm stand, neigte den Kopf. „Sie stammt aus Horus’ Linie.“
Demnach galt das auch für Bryns Brüder. Lokan überlegte. Er wusste, dass Horus vier Söhne hatte, die Ratgeber von Pharaonen und Königen waren. Aber er hatte diese Linie nie weiterverfolgt. Aber diese Überlegungen musste er sich für später aufheben. Hier und jetzt waren seine Gedanken nur auf eines gerichtet, darauf, dass er diesen Ort nicht ohne Bryn verlassen wollte.
„Du bist mächtig, o Isis. Du hast magische Kräfte, o Isis. In diesem Augenblick liegt alles in deiner Hand. Denn du bist hier, während all die anderen, die Bryn für ihr Geschlecht geltend machen, es nicht sind.“ Seine Rede stockte. Er kämpfte gegen die aufkommende Panik, die ihn bei dem Gedanken befiel, Bryn nie wiederzusehen, sie nie wieder in den Armen halten zu können, die Tochter ihrer Mutter zu berauben. „Du bist hier und die anderen nicht.“
„Ich kann es nicht
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