Feuertanz
meinte Irene.
Gisela Bagge nickte lächelnd.
»Capoeira ist eine alte afrikanische Kampftechnik. Die Sklaven, die an die Plantagenbesitzer in Brasilien verkauft wurden, bewahrten diese Tradition. Damit die Sklavenbesitzer keinen Verdacht schöpften, behauptete man, dass es sich um afrikanische Volkstänze handelte. Der Name Capoeira ist indianischen Ursprungs und bedeutet Busch. Wenn die Sklaven türmten, versteckten sie sich in den Büschen. Die Indianer verpfiffen sie. Sie sagten, die Sklaven versteckten sich im Capoeira. Den Tanz gibt es in Brasilien immer noch. Er erfreut sich als Kampfsport außerordentlicher Beliebtheit. Auch in Europa breitet er sich aus. Er eignet sich sehr gut für Tänzer, da er viele Tanzelemente enthält.«
»Und Marcelo beherrscht Capoeira?«
»Ja. Und er hat es Felipe und den anderen in nur einem Jahr beigebracht. Letzten Sommer hat Marcelo hier einen Intensivkurs abgehalten. Deswegen sind sie innerhalb so kurzer Zeit auch so gut geworden. Dazu trägt natürlich auch bei, dass sie vorher schon getanzt haben.«
Sie gingen in die Cafeteria und holten sich je einen Pappbecher Kaffee. Irene widerstand der Versuchung, sich für fünf Kronen noch ein paar Kekse zu ziehen. Plötzlich beschlich sie dasselbe Gefühl wie damals vor fünfzehn Jahren bei Angelica. Sie kam sich extra large vor, ein Gefühl, das vermutlich manch einer empfand, der neben der ätherischen Gisela herging.
Schweigend kehrten sie in Giselas Büro zurück. Irene stellte ihren Becher auf den Schreibtisch und blies auf ihre Fingerspitzen.
»Ich habe noch ein paar Fragen. Haben Sie Zeit?«, fragte sie.
»Natürlich. Ich habe um zehn eine Besprechung, aber bis dahin kann ich mir die Zeit frei einteilen. Lilly nimmt die Anrufe für mich entgegen, wir werden also nicht gestört.«
»Danke. Wie kam Marcelo hier ans Haus des Tanzes?«
»Zum ersten Mal arbeitete er hier vor gut einem Jahr. Die Schüler der Hochschule für Tanz wünschten sich einen Block mit Salsa-Unterricht. Salsa ist immer noch in, aber damals war es der letzte Schrei. Ein Bekannter in Oslo stellte den Kontakt zu Marcelo her. Er hielt Kurse in lateinamerikanischen Tänzen ab und hatte sich einen Namen gemacht. Es gelang mir, ihn hierher zu locken, und es gefiel ihm gut. Letztes Semester fuhr er zeitweise noch zwischen Göteborg und Oslo hin und her, aber dieses Semester arbeitet er nur in Göteborg. Das ist hauptsächlich Sophies Verdienst. Marcelo fühlt sich in der Wohnung, die er von ihr gemietet hat, außerordentlich wohl.«
Irene beschloss, die Gelegenheit zu ergreifen, eine wichtige Frage zu stellen, auf die sie eine Antwort suchte.
»Wissen Sie, ob Sophie und Marcelo zusammen waren, also ein Paar waren?«
Gisela warf ihr einen langen Blick zu, ehe sie antwortete: »Sowohl Marcelo als auch Sophie sind … problematisch. Um mit Marcelo zu beginnen, besteht das Problem darin, dass er es bei Frauen viel zu leicht hat. Obwohl er das vermutlich nie als Problem sehen würde. Er nimmt sich einfach, auf wen er gerade Lust hat. Und Lust hat er oft. Das Merkwürdige ist, dass ihm die Frauen nie böse sind, sondern einfach dankbar, dass er ihnen eine Weile seine Aufmerksamkeit und Wärme geschenkt hat. Weiß der Teufel, wie er das anstellt!«
Das Letzte sagte sie mit einem kurzen Lachen, und Irene lächelte zustimmend. Ihr fiel das Glänzen in Giselas Augen auf. Offenbar war Marcelo ein gefährlicher Mann, der mit seinem Feuer so manches Frauenherz versengte. Taktvoll beschloss sie, das Thema Marcelo auf sich beruhen zu lassen.
»Weshalb war Sophie problematisch?«
»Ich lernte Sophie kennen, als ich vor fünfzehn Jahren als Lehrerin hier anfing. Sie ist … war eine sehr spezielle Person. Gleichzeitig verfügte sie über ein unglaubliches tänzerisches Talent. Überall sah und dachte sie Tanz. Letztes Jahr beendete sie ihre Ausbildung als Choreographin mit Bestnote. Einige Tänzer dieser Hochschule studieren gerade ein Werk von Sophie ein, das nächsten Mittwoch Premiere hat. Das wird sicher ein einzigartiges Erlebnis, und ich finde wirklich, dass Sie kommen sollten.«
Gisela erhob sich und nahm ein rotes Blatt Papier aus dem Bücherregal. Mit schwarzer Schrift stand darauf: »FEUERTANZ. Ein Tanzmärchen. Schüler der Hochschule für Tanz tanzen zusammen mit dem Theater Feuerköpfe. Choreographie von Sophie Malmborg, Musik von Ernst Malmborg.«
Auf einem Foto waren schwarze Silhouetten in verschiedenen Posen vor einem dunkelroten Hintergrund zu
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