Feuertanz
Marcelo Alves sprechen wollen.«
»Ja. Es geht um den Mord an Sophie Malmborg. Marcelo ist ihr Untermieter.«
»Ich weiß. Ich habe sie zusammengeführt. Sophie vermietet … vermietete zu einem günstigen Preis an unsere Gastlehrer. Das war so seit dem Ableben ihres Vaters.«
»Wir haben keine Telefonnummer, unter der wir Marcelo erreichen können, also dachte ich, es ist das Beste, es hier zu versuchen«, meinte Irene lächelnd.
Gisela erwiderte ihr Lächeln, und im unerbittlichen Licht der Deckenlampe waren deutlich fächerförmig von ihren Augenwinkeln ausstrahlende Fältchen zu sehen. Sie war vermutlich bereits Anfang vierzig, ging aber von weitem als höchstens fünfundzwanzig durch.
»Wenn Sie mit Marcelo sprechen wollen, dann sind Sie zu früh dran. Er kommt selten vor zwei Uhr nachmittags, meist sogar später.«
»Aber er gibt doch wohl Stunden, zu denen er pünktlich erscheinen muss? Schließlich ist er Lehrer?«, meinte Irene erstaunt.
»Das schon. Aber wir haben alle seine Stunden auf den spätmöglichsten Zeitpunkt gelegt. Vorzugsweise auf die Abendstunden. Er ist Südamerikaner, müssen Sie wissen. Brasilianer.«
Gisela tat so, als sei damit alles erklärt. Irene verstand nur Bahnhof.
»Ich weiß, dass er Brasilianer ist, aber wieso kann er deswegen nicht tagsüber unterrichten?«
»Weil er Brasilianer ist«, seufzte Gisela und verdrehte die Augen.
Bei Irene regte sich allmählich der Verdacht, die Studiendirektorin wolle sie auf den Arm nehmen. Gisela lachte leise.
»Marcelo kann ganz einfach nicht pünktlich sein. Es ist, als würde die Uhr für ihn nicht existieren. Er kommt angeschlendert, wann es ihm gerade passt.«
»So ein Lehrer muss wirklich anstrengend sein«, entschlüpfte es Irene.
»Anfänglich hatten wir auch unsere Bedenken, aber in der Tat funktioniert es meistens. Er ist da, wenn seine Stunden am Spätnachmittag und Abend anfangen. Alle seine Kurse sind voll belegt. Die Schüler lieben ihn!«
»Was für Tänze unterrichtet er denn?«
»Südamerikanische. Er unterrichtet die Schüler der Hochschule und des Ballettgymnasiums, aber gibt auch Kurse im Haus des Tanzes, für die sich jeder anmelden kann. Salsa, Merengue und Lambada sind sehr beliebt. Marcelo hat auch Focho unterrichtet, das ist eine brasilianische Variante des Foxtrott, obwohl nicht viel an unseren europäischen Foxtrott erinnert, wenn ich ehrlich sein soll. Dieser Kurs ist für eine Zielgruppe, die man hier im Haus des Tanzes nicht so oft sieht, nämlich Rentner. Er ist wahnsinnig beliebt, und die Teilnehmer vergöttern Marcelo. Er macht den Frauen Komplimente und scherzt mit den Männern, und alle fühlen sich zwanzig Jahre jünger, wenn sie nach Hause gehen! Das ist wirklich eine Leistung, wenn man bedenkt, dass er fast kein Wort Schwedisch spricht.«
Sie lachte. Dann zog sie die oberste Schublade ihres Schreibtischs auf. Nachdem sie eine Weile herumgekramt hatte, fand sie das Gesuchte. Sie reichte Irene eine dünne Broschüre in einer unbegreiflichen Sprache. Auf dem Umschlag stand: »Capoeira. Boa vontade. Mestre Canelão. Natal – Brasil.« Darüber war ein Foto von zwei jungen, muskulösen Männern mit nacktem Oberkörper und in weiten weißen Hosen zu sehen. Der eine machte einen einhändigen Handstand und war gleichzeitig im Begriff, dem anderen Mann einen Tritt zu versetzen. Dieser wich aus, indem er in die Knie ging und sich zurücklehnte. Er stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab. Als langjährige Kampfsportlerin erkannte Irene sofort, wie ungemein stark die beiden Männer waren und wie gefährlich der Fußtritt gewesen wäre, wenn er getroffen hätte.
»Als wäre es damit nicht genug, hat er eine Gruppe gegründet, die Capoeira trainiert«, sagte Gisela und deutete mit dem Kopf auf die Broschüre.
»Aber das sieht gar nicht nach einem Tanz aus«, wandte Irene ein.
»Einerseits ist es das, andererseits jedoch nicht.«
»Andererseits nicht?«, wiederholte Irene.
Gisela schien eine Weile nachzudenken. Dann sagte sie: »Kommen Sie.«
Ehe Irene noch etwas sagen konnte, war sie schon aufgestanden und auf dem Weg zur Tür. Sie ging die Treppe hinunter und den Korridor entlang. Dann schloss sie die Glastür auf. Ein leichter Schweißgeruch und rhythmische Musik ließen vermuten, dass sie sich den Übungssälen näherten. Aber die Musik erinnerte kaum an Schwanensee. Irene fühlte sich mehr in den dunkelsten Dschungel Afrikas versetzt. Sie blieben vor einer geschlossenen Tür stehen. Von
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