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Feuertanz

Feuertanz

Titel: Feuertanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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musikalisches Gehör und sei vollkommen unmusikalisch. Von da an waren Elsy die Klavierstunden erspart geblieben.
    Einige Jahre später wurde Ernst zum musikalischen Wunderkind erklärt. Er absolvierte die Musikalische Akademie in Stockholm mit Bestnote. Anschließend rissen sich Musikhochschulen in ganz Europa um ihn. Er lehnte ab. Er traute sich einfach keinen wiederholten Ortswechsel zu und glaubte deshalb auch, sich nicht zum Konzertpianisten zu eignen. Das Tourneeleben war nichts für ihn. Nach dem Examen erklärte er, Komponist werden zu wollen.
    Was dann geschah, war für mich, der ich mich gerade mitten in der Pubertät befand und den Swing und Jazz der Nachkriegszeit entdeckt hatte, vollkommen unbegreiflich. Und von der anderen Seite des Atlantik kamen jetzt auch noch verlockendere und wildere Töne: der Rock’n’Roll! Und da zog sich mein bewunderter Cousin in die düstere Wohnung seiner Eltern zurück – er war nie von zu Hause ausgezogen – und begann, vollkommen unbegreifliche Musik auf dem Flügel zu klimpern.
    » Atonal! « , sagte meine Schwester Bettan und verdrehte die Augen.
    Ich fand, dass das irgendwie obszön klang, und fragte mich, ob Cousin Ernst vielleicht schwul geworden sei, denn er war noch nie in weiblicher Begleitung gesehen worden, obwohl er mittlerweile schon vierundzwanzig war. Laut Tante Alice hatte es an der Akademie jemanden gegeben, aber niemand hatte sie je zu Gesicht bekommen. Mit der Zeit war ich immer mehr davon überzeugt, dass es sie nie gegeben hatte.
    Ernst saß tagelang da und komponierte. Die Wohnung verließ er kaum. Die Notenpapierstapel um ihn herum wuchsen. Tante Alice machte sich Sorgen um » seine mentale Gesundheit « und sprach schließlich mit meinem Vater. Dieser fand, es sei an der Zeit, dass sich Ernst der Wirklichkeit und den Menschen stellte. Als Zeitungsmann verfügte er über viele Kontakte. Nach einigen Anrufen gelang es ihm, eine Vorstellung mit Ernsts neu komponierter Musik zu organisieren.
    Die Veranstaltung fand im kleinsten Saal an der Musikalischen Akademie statt. Das Konzert war als » experimentell « angekündigt, und mir schwante bereits Schlimmstes, als wir dorthin gingen. Es befanden sich, Ernst eingerechnet, nur fünf Musiker auf der Bühne. Die anderen vier waren Leute, mit denen er zusammen studiert hatte.
    Die ganze Verwandtschaft war eingeladen und füllte die Hälfte des Auditoriums. Ein Glück, dass wir da waren, denn außer uns waren nur etwa zehn weitere Besucher gekommen. Wir wussten nicht, dass der tonangebendste (sic!) Musikkritiker des Landes unter ihnen war, der gefürchtete Bertil Neanderthál von Dagens Nyheter. Er lobte die Vorstellung später über den grünen Klee, indem er sie als einen » epochemachenden Durchbruch für die innovative Musik « und eine » musikalische Provokation von Weltrang « bezeichnete. Er schloss damit, dass eine » musikalische Künstlerpersönlichkeit « geboren worden sei.
    Nach dem Artikel in Dagens Nyheter war Ernst ein gemachter Mann. Welch ein Glück, dass sich ein professioneller Musikkritiker im Publikum befunden hatte, denn nach dem Konzert war sich die gesamte Verwandtschaft rührend einig gewesen, dass es sich um erbärmlichstes Gerassel und Getöse gehandelt habe. Meine Mutter äußerte beschwichtigend, wir seien sicherlich einfach zu unwissend. Aber meine Schwestern und ich waren uns ausnahmsweise mal vollkommen einig; was Ernst da komponierte, konnte nicht Musik genannt werden. » Es klapperte und kreischte so sehr, dass ich mir sicher war, der Tag des Jüngsten Gerichts sei gekommen « , meinte Onkel Kalle mit gespieltem Ernst. Mein Vater brach daraufhin in schallendes Gelächter aus. Er lachte so sehr, dass ihm die Tränen kamen, und wir anderen stimmten ein.
    Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten.
    Ernsts Stern am Himmel der experimentellen Musik stieg stetig. Bereits nach wenigen Jahren hatte er sich einen Namen gemacht. Er tauchte in diversen kulturellen Zusammenhängen mit erwartungsvollen jungen Damen an seiner Seite auf. Keine von ihnen schien Ernst tiefer zu berühren, denn er sprach nie über sie. Deswegen schlug die Neuigkeit, er sei mit der Schauspielerin Anna-Greta Lidman liiert, bei der Familie wie eine Bombe ein! Er hatte es niemandem erzählt, meine Mutter erfuhr es aus der Regenbogenpresse. Cousin Ernst stieg sofort einige Stufen in meiner Achtung. Mutter und Tante Alice schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Onkel Hilding vergrub sich in seine Farne, und

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