Feuertanz
wurde er ein richtiger Kauz, und am Ende seines Lebens ließ er deutliche Symptome einer fortschreitenden Demenz erkennen. Tante Alice war 59, als sie an Darmkrebs starb. Nach ihrem Tod blieb Elsy mit ihrem immer senileren Vater in der großen Wohnung wohnen. Ich glaube, dass er dann 1973 oder 1974 an einem Schlaganfall starb. Elsy bin ich zum letzten Mal bei Hildings Beerdigung begegnet. Anschließend haben wir uns dann noch Karten zu Weihnachten und zu runden Geburtstagen geschickt. Sie starb 1990, und ich bin überzeugt davon, dass sie nie eines meiner Bücher gelesen hat.
Von meinen drei älteren Geschwistern pflegte nur Bettan sporadischen Umgang mit Elsy, und zwar auch nur, weil sie beide auf Östermalm wohnten und unsere Cousine meiner Schwester Leid tat. Sie hatten kaum etwas gemeinsam, abgesehen davon, dass sie beide unverheiratet waren. Bettan ist die Älteste von uns vieren. Sie ist Krankenschwester, hat ihr ganzes Leben im Sophienheim gearbeitet und ist wohl diejenige von uns, die am meisten Empathie aufbringt. Sie sagte oft: » Elsy kann einem Leid tun. Sie ist so allein. Ich versuche sie aufzumuntern und lade sie zum Essen ein, und dann unterhalten wir uns. Sie kommt gern, aber eine Gegeneinladung erhalte ich nie. Gelegentlich habe ich versucht, sie mit ins Theater zu nehmen oder in ein nettes Restaurant, aber sie will mich nie begleiten. Sie schiebt es immer darauf, unpässlich zu sein oder dass es zu teuer würde. Ehrlich gesagt ist sie eine Spur langweilig. «
In gehässigen Augenblicken hatte ich den Verdacht, die arme Elsy sei so etwas wie Bettans Variante eines mittelalterlichen Büßerhemds.
Ernst war seiner Schwester sehr ähnlich, aber was an ihr hässlich und nicht feminin war, war bei ihm männlich und gut aussehend, jedenfalls nach der Reaktion der Weiblichkeit zu urteilen. Aber das kam später in seinem Leben, als er eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, was seine Anziehungskraft sicher erhöhte.
Ernst war mein Ersatz für den großen Bruder, den ich nie hatte. Wahrscheinlich sah auch er mich als den jüngeren Bruder, den er nicht bekommen hatte. Ich bewunderte ihn über alles und fühlte mich unglaublich geschmeichelt, dass er seine Geburtstage mit mir feiern wollte. Wir waren immer recht viele in der von Flieder umstandenen Laube beim Sommerhaus in Roslagen. Ich lud meine Freunde aus der Nachbarschaft ein sowie meine Schwestern und manchmal auch einige ihrer Freundinnen. Gelegentlich fand sich auch Onkel Kalle mit seiner großen Familie aus Gävle ein, und sie wohnten dann in der Pension, worum ich sie sehr beneidete, denn die Pension war für ihr großartiges Frühstück bekannt. Es hieß, es gäbe dort jeden Morgen frische Waffeln mit Schlagsahne und Marmelade. Das hätte ich bei uns zu Hause auch gerne eingeführt, stieß damit aber stets auf taube Ohren.
Ernst erschien immer mit seinen Eltern und der mürrischen Elsy im Schlepptau. Einen Freund hatte er nie dabei. Sie wohnten bei uns im Gästehaus, das recht geräumig war und sogar zwei Schlafzimmer besaß. Bettan und Ernst waren gleichaltrig und trafen sich gelegentlich. Manchmal kam auch eine ihrer Freundinnen mit. Elsy saß immer stumm dabei, wenn die anderen Karten oder ein Würfelspiel spielten. Wenn ich nachdenke, dann muss sie in meinen frühesten Erinnerungen erst knapp zwanzig gewesen sein, aber ich hielt sie schon damals für eine langweilige alte Jungfer. Die Familie Malmborg blieb immer vier oder fünf Tage, um zu baden und in der Sonne zu liegen, wenn es das Wetter erlaubte. Dann fuhren sie wieder nach Hause. Wahrscheinlich befürchtete Onkel Hilding, seine Farne könnten vertrocknen.
Bereits im Alter von vier zeigte Ernst mathematische Begabung. Auch Elsy war gut in Mathe, aber Ernst war ein Genie. Sein Vater Hilding rieb sich die Hände und sah für seinen Sohn bereits eine strahlende Karriere als weltberühmter Mathematiker vor sich. Es kam jedoch anders, als es sich der Botanikdozent gedacht hatte. Mozart und Bach kamen dazwischen. Mit acht schleppte Ernst einen Stapel Schellackplatten, die er auf dem Speicher gefunden hatte, in die Wohnung. Dann saß er tagelang da, zog das alte Grammophon von Tante Alice auf und hörte sich die Platten an. Nach ein paar Wochen verkündete er, er wolle Klavier spielen lernen. Seine arme Schwester hatte das Familienklavier ein paar Jahre lang ohne Erfolg malträtiert. Ihr leidgeprüfter Klavierlehrer hatte den Eltern schließlich mitgeteilt, sie besäße keinerlei
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