Feuertanz
heimtückisch glatt. Düster ragte das Haus auf. Während sich Irene vorsichtig der Haustür näherte und dabei darauf achtete, wo sie hintrat, hatte sie wieder das Gefühl, als ob das Haus sie feindselig betrachte. Unsinn, ich habe vermutlich zu viele Horrorfilme mit alten Geisterhäusern gesehen, dachte sie und ärgerte sich über sich selbst. Aber das Gefühl ließ sie nicht los.
Sie drückte auf die angelaufene Messingklingel. Der Klingelton hallte im Haus wider, und es dauerte lange, bis sich Schritte näherten. Frej öffnete die Haustür und wirkte nicht übertrieben begeistert, als er sie sah. Sie gaben sich die Hand, und Irene trat ein.
Die halbhohe Wandverkleidung aus Mahagoni und die sepiabraune Tapete riefen in der großen Diele ein düsteres Dämmerlicht hervor. Mehrere Türen gingen von ihr ab. Dazwischen standen eine Standuhr und eine Kommode aus dunklem Holz an der Wand. Geradeaus reichte ein riesiger goldgerahmter Spiegel vom Fußboden bis zur Decke. Das Glas war von einer dicken Schmutzschicht überzogen, wodurch Irenes Spiegelbild matt und undeutlich erschien. Rechts neben der Haustür befand sich eine geschlossene Tür, die in den Keller führte, wollte man einem an ihr befestigten kleinen Messingschild Glauben schenken. Linkerhand befand sich eine große Garderobe mit Hutablage und ein paar Meter dahinter die Treppe ins Obergeschoss. In der Garderobe herrschte ein großes Durcheinander übereinander gehängter Kleidungsstücke. Da nur noch zwei Männer im Haus wohnten, schloss Irene, dass die nagelneue hellbraune Jacke mit Kunstpelzkragen sowie die Stiefeletten mit den schmalen, niedrigen Absätzen Sophie gehört haben mussten. Letztere schienen ordentlich nebeneinander gestellt ihrer Besitzerin zu harren. Der Anblick der neuen Kleidungsstücke stimmte Irene traurig. Vielleicht hatte Sophie sie gekauft, um bei der Premiere von »Feuertanz« gut auszusehen.
Es roch modrig, und Kies knirschte unter Irenes Schuhsohlen. Der ruinierte Parkettboden knarrte und gab etwas nach.
»Wo möchten Sie beginnen?«, fragte Frej.
»Sie müssen mich nicht begleiten. Ich finde mich schon zurecht«, meinte Irene.
»Okay. Ich bin in meiner Wohnung ganz oben.«
Er verschwand die Treppe hinauf, und Irene wartete, bis sich die Tür hinter ihm schloss. Erst dann trat sie auf die Kellertür zu und öffnete diese. Der Geruch von Feuchtigkeit und Schimmel schlug ihr entgegen. Sie tastete an der Innenseite des Türrahmens nach dem Lichtschalter. Als sie ihn betätigte, blieb es dunkel. Die Glühbirne war kaputt. Sie würde ihre Taschenlampe aus dem Handschuhfach holen müssen, aber das hatte Zeit. Vielleicht hatte Frej auch eine neue Glühbirne oder eine Taschenlampe, die sie sich borgen konnte. Sie schloss die Kellertür und begab sich in die Küche, die durch eine der offenen Türen zu sehen war.
Irene hielt auf der Schwelle inne und verschaffte sich einen Überblick. Zweifellos war die Küche genauso alt wie das übrige Haus. Die Schränke reichten bis zur Decke und waren hübsch verziert. Sie waren in schmutzigem Beige lackiert, und der Lack war zerkratzt. Herd und Kühlschrank waren der Ockerfarbe nach zu urteilen moderner. An der Decke und an der Wand über dem Herd hing je eine kugelförmige weiße Glaslampe. Es gab weder eine Dunstabzugshaube noch eine Spülmaschine. Das Küchenfenster ging auf die Rückseite des Hauses. Durch die schmutzigen Scheiben sah man auf ein Himbeergebüsch vor einer dunklen Tannenhecke. Es stank nach Müll und verdorbenen Lebensmitteln. In der Spüle stand schmutziges Geschirr. Irene öffnete den Kühlschrank und schloss ihn rasch wieder. Er war leer, roch aber wie ein alter Spüllappen. Offenbar wurde diese Küche weder von Frej noch von Marcelo benutzt.
Diese Küche sollte man unter Denkmalschutz stellen, aber erst einmal müsste sie von oben bis unten geputzt werden, dachte Irene. Sie war keine Pedantin, aber das war vermutlich die dreckigste Küche, die sie je gesehen hatte. Ihre Schuhsohlen klebten an dem braunen Linoleumfußboden fest und gaben bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch von sich.
Die Tür daneben führte in eine große Gästetoilette mit einer recht neuen Duschkabine und einem ekelerregenden Geruch nach Schmutz und Urin. Unglaublich, dass eine Frau diesen Schmutz ertragen konnte, dachte Irene. Staub und ein bisschen Schmutz störten sie nicht, aber das hier war etwas ganz anderes. Saustall, hätte ihre Mutter verächtlich gesagt. Anschließend hätte sie
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