Feuertanz
beschloss sie, sich erst einmal rasch dort umzusehen. Die Treppe mündete in eine geräumige, helle Diele, die nur mit einer ungewöhnlich langen Bank an der einen Wand möbliert war, was der Diele die Atmosphäre des Wartesaals eines stillgelegten Bahnhofs verlieh. Direkt vor ihr befand sich eine Balkontür, die von großen Fenstern flankiert wurde.
Es gab sechs geschlossene Türen. Irene öffnete die erste auf der linken Seite und erkannte, dass dies Ernst Malmborgs Studio gewesen sein musste, da sich darin ein großes Mischpult mit Schiebern und Knöpfen, Mikrophone, Tonbänder und alle möglichen anderen Geräte befanden. Alles schien einfach so stehen gelassen worden zu sein, und wäre nicht die dicke Staubschicht gewesen, hätte man meinen können, die Musiker hätten nur kurz eine Kaffeepause eingelegt und würden gleich wiederkommen.
Das Zimmer daneben war kleiner, aber hier stand nur ein großer Flügel mit dazugehörigem Hocker. Im Übrigen war es vollkommen leer. Es gab weder Gardinen vor den Fenstern noch Bilder an den Wänden. Vielleicht hatte ja Ernst gefunden, dass solche Dinge seine Konzentration beim Komponieren stören könnten.
Vorsichtig schloss sie die Tür und öffnete dann die nächste. Ein großes Doppelbett mit einem verblichenen rosa Seidenüberwurf dominierte das Zimmer. Wahrscheinlich war es Ernsts Schlafzimmer gewesen. An einer Wand hing ein großes Ölgemälde.
Irene machte ein paar eilige Schritte ins Zimmer und stellte sich vor das Gemälde. Es war ein Porträt Anna-Greta Lidmans aus den Tagen ihres Ruhms. Wallend fiel ihr das lange blonde Haar über die Schultern, und eine dichte Strähne hing ihr vorne über die nackte Brust, die bis knapp über die Brustwarzen abgebildet war. Aus ihren blauen Augen sprach Lebensfreude, und ihre sinnlichen Lippen umspielte ein spöttisches Lächeln.
Alkohol, Depressionen, Tabletten und der natürliche Alterungsprozess hatten sie kaputtgemacht. Irene empfand plötzlich großes Mitleid mit der Frau auf dem Bild. Gegen das Altern kämpft der Mensch vergebens, und es gibt keine Möglichkeit, diesen Kampf zu gewinnen.
Irene betrachtete nachdenklich die schöne Frau auf dem Gemälde und fuhr erschrocken auf, als sie eine Stimme von der Tür her hörte.
»Ich dachte, Sie wären auf dem Weg hoch zu mir.«
Sie drehte sich rasch um und hatte Mühe, ihren Schrecken zu verbergen.
»Habe ich Sie erschreckt?«, fragte Frej und hob die Brauen, als könne er kein Wässerchen trüben.
Seine Stimme klang jedoch recht zufrieden, und Irene konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Wo ich schon einmal hier bin, wollte ich mich ein wenig umsehen. Dann muss ich nicht noch mal kommen«, meinte sie.
»Okay. Haben Sie Marcelos Zimmer gesehen?«
»Nein.«
Er bedeutete ihr, ihm durch die Diele zu folgen. Frej deutete auf eine Tür neben der Treppe und sagte: »Das Klo. Da gibt es auch eine Badewanne. Die nächste Tür führt in ein Gästezimmer. Dort hat schon seit ungefähr zwanzig Jahren niemand mehr gewohnt.«
Er ging zur nächsten Tür neben dem Balkon, öffnete diese und vollführte eine übertrieben einladende Geste.
»Marcelo ist nicht zu Hause? Oder?«, fragte Irene und blieb zögernd auf der Schwelle stehen.
»Ach was. Der ist fast nie zu Hause.«
Frej stieß sie sanft in den Rücken, um sie zum Eintreten zu ermuntern.
»Hallo! Marcelo!«, rief Irene sicherheitshalber ins Zimmer.
Sie erhielt keine Antwort und beschloss, sich rasch in Marcelos Bude umzusehen, da sich nun die Gelegenheit bot.
Sie standen in einem großen Zimmer, das sowohl als Küche als auch als Wohnzimmer diente. Am anderen Ende des Zimmers erblickte Irene eine angelehnte Tür. Die Kücheneinrichtung bestand aus einem Einbauschrank, einem Kühlschrank und zwei Herdplatten und erinnerte Irene an die Küchen in den Aufenthaltsräumen des Polizeipräsidiums. An der Wand stand ein kleiner Küchentisch mit zwei Stühlen, auf dem ein blau kariertes Wachstuch lag. Irene musste wieder an ihre Mutter denken. Hätte sie dieses Wachstuch gesehen, wäre sie sofort mit einem Schwammtuch und der Ajaxflasche angerückt.
Die winzige Spüle war voller benutztem Geschirr. Unter ihren Sohlen knirschten Krümel. Offenbar hatten Marcelo und Sophie dasselbe Verhältnis zum Putzen. Vor dem Fenster gruppierten sich eine Couch mit zwei Sesseln, die nicht zueinander passten, sowie ein niedriger Couchtisch. Auf dem Couchtisch lag keine Decke, die hätte verbergen können, wie übel er zugerichtet war. Ein
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