Feuerteufel: Roman (German Edition)
und zog das Handy aus ihrer Shortstasche. Wie so viele Male in diesem Sommer hatte sie versehentlich die Lautstärke abgestellt und schaltete sie jetzt rasch wieder ein, ehe sie die Nummer von Ludvig wählte. Nils ging ran.
»Hallo, mein Schatz, hier ist Mama.«
»Das weiß ich schon. Das stand doch auf dem Telefon.«
»Ja, natürlich.«
Die Erfindung der Nummernanzeige konnte in Scheidungen mit gemeinsamen Kindern gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Gut …«
»Was hast du heute gemacht?«
»Gebadet und so. Du, und ich hab gelernt, einen Köpper richtig vom Steg zu machen, so wie Papa.«
»Wirklich? Wie toll! Das will ich aber sehen, wenn du nach Hause kommst.«
»Hmm. Wie geht es Fisen?«
»Dem geht es supergut, aber ich glaube, er vermisst dich. Genauso wie ich, übrigens.«
»Wo ist er jetzt?«
»Liegt hier auf der Treppe und schnurrt, wie Katzen das so machen. O nein, jetzt ist er aufgesprungen und weggerannt. Wahrscheinlich sucht er nach dir.«
»Aha.«
Magdalena merkte, dass Nils’ Aufmerksamkeit nachließ. Er freute sich immer, wenn sie anrief, hatte aber selten die Ruhe, länger zu reden. Kleine, abgetrennte Schnipsel seines Lebens, das war alles, was er ihr mitteilte. Manchmal erzählte er, wie viele Eis er gegessen hatte, dass er am Strand einen Mann mit Beinprothese gesehen hatte, oder dass er von seinem Opa eine Taschenlampe bekommen hatte. Er erzählte das Erste, was ihm in den Sinn kam, und dann war Schluss.
»Ich ruf dich morgen wieder an, mein Schatz. Und Sonntag sehen wir uns. Das sind nur noch sechs Tage.«
»Hmm.«
»Gute Nacht, und schlaf gut.«
»Gute Nacht.«
Magdalena zog die Jacke enger um sich. Die Dämmerung war hereingebrochen, und das Gras war feucht. Als sie auf den Steg trat, hinterließ sie sichtbare Fußspuren auf dem Holz. Heute Abend lag der See still da. Das Einzige, was sich auf der ansonsten spiegelglatten Oberfläche bewegte, waren die sich ausbreitenden Ringe von allmählich erwachenden Fischen. Keine Boote, keine Kanus.
Wie von selbst wanderten ihre Gedanken zu Mirjams Haus. Brandstiftung mit Todesfolge. Magdalena schauderte. Wer konnte ihr derart Böses wollen? Sie ließ den Blick zu ihrem eigenen Haus schweifen und verspürte wieder den Rauchgeruch vom Abend zuvor, hörte das Prasseln und den Lärm, als das Blechdach auf die Erde krachte. Wie wenig man doch wusste. Wie schnell es vorbei sein konnte. Das Leben.
Auf der anderen Seite des Sees rief ein Seetaucher. Magdalena wedelte ein paar Mücken weg, die versuchten, in ihrem Nacken unter die Haare zu kriechen, dann versteckte sie die Hände in den Jackenärmeln. Sie ging wohl besser wieder hinein.
Und in dem Moment geschah es: Der allererste Hauch von Herbst zog wie ein schwacher Schmerz durch die Luft und verschwand wieder.
Christer zog Rollo und Gardinen zu, ließ aber das Fenster einen Spalt offen. Dann zog er den Pullover aus, faltete ihn zusammen und legte ihn auf den Kiefernholzstuhl neben dem Bett.
Mirjam. Es gab sie nicht mehr. Der Gedanke wollte nicht richtig greifen, war nicht zu denken. Getrauert hatte er schon um sie, damit war er fertig, aber trotzdem. Jetzt war sie tot. Und zwar richtig.
Molotowcocktails. Kenny Edermo, einer der Kriminaltechniker in Torsby, hatte von dem grässlich schnellen Brandverlauf erzählt, ein Raum konnte innerhalb von Sekunden in Flammen stehen. »Extrem effektiv«, hatte er sich ausgedrückt. »Mit Benzin geht das sehr, sehr schnell.«
Ob sie wach war, als das passierte? Christer versuchte, sich die Angst vorzustellen, die Mirjam gehabt haben musste, als das Feuer sich ausbreitete, doch er schaffte es nicht, brachte den Gedanken nicht in den Kopf. Manchmal fühlte es sich besonders schön an, ganz oben im neunten Stock zu wohnen.
Er legte sich auf den Teppich am Fußende des Bettes und absolvierte seine abendlichen Liegestütze, eine alte Gewohnheit, die er seit dem Frühsommer wieder aufgenommen hatte. Dann fünfzig Sit-ups. Inzwischen sollte man doch einen Unterschied sehen können. Auf jeden Fall fühlte es sich schon besser an. Er setzte sich auf die Bettkante, nahm das Handy und drückte auf den Knopf für eingegangene Nachrichten.
»Ich fand es auch nett, sich zu sehen. Hoffentlich bis bald mal wieder! Torun.«
Christer las den Satz noch einmal und versuchte zu interpretieren, was da eigentlich stand. »Nett, sich zu sehen.« Ja, das waren dieselben Worte, die er benutzt hatte, als er die erste Nachricht
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