Feuertochter: Roman (German Edition)
Gamhain nicht bei ihr war. Die große Hündin hätte sie vor anderen Hunden und weiteren Gefahren beschützt. Hier durfte sie nicht bleiben. Doch wenn sie in der Nacht durch die Straßen der Stadt wanderte, würde sie den Stadtwachen in die Hände laufen und als Landstreicherin im Gefängnis landen. Unschlüssig, was sie tun sollte, ging sie ein paar Schritte und entdeckte plötzlich eine Gestalt in ihrer Nähe. Sofort reckte sie den Dolch in deren Richtung.
»Bleib mir vom Leib!«, warnte sie.
»Bist wohl neu hier, was?«, antwortete eine Frauenstimme. »Hättest dich sonst nicht hier schlafen gelegt, sondern ’nen andern Unterschlupf gesucht.«
»Und was tust du hier?«, fragte Ciara misstrauisch.
»Ich komm von der Schifferkneipe da unten. Hab mir ’n paar Pennies und ’nen großen Fleischpudding verdient.«
»Hast du Bier ausgeschenkt?« Noch während Ciara es sagte, lachte die andere auf.
»Denkste, der Wirt lässt mich an seine geheiligten Krüge? Ne, ich hab nur ’n paarmal die Beine breitgemacht. Darauf stehen die Kerle, wenn sie nach vielen Tagen auf See nach London kommen. Wenn’s ihnen so richtig in der Hose juckt, sind se immer großzügig. Hab gesehen, dass die Mistress of Kent heute eingelaufen ist, und mir gesagt, Maudie, das wird ’n Glückstag für dich. War’s auch! Muss sonst dreimal so viele Kerle drüber lassen, um so gut zu verdienen. Den Pudding gab’s noch extra dazu.« Die Frau plapperte fröhlich vor sich hin und sprach mit Ciara, als wäre diese ihrer beste Freundin.
»Du bist eine Hure?«, fragte diese mit einer gewissen Abscheu.
»Von irgendwas muss ich ja leben«, gab die andere gelassen zurück. »Sag, wo kommste eigentlich her? Hörst dich an, als kämste aus Schottland.«
»Ich bin Irin!«, korrigierte Ciara sie giftig.
»Hab nichts gegen euch Iren«, fuhr Maud unbeirrt fort. »Kannte sogar ’n paar irische Matrosen. Waren großzügig, ja, das waren sie. Aber tu jetzt den blöden Dolch weg. Oder willste mich wegen ’n paar Pennies und ’nem Fleischpudding abstechen?«
»Natürlich nicht!«
»Dann ist’s ja gut. Übrigens, wennste ’nen guten Schlafplatz suchst, kannste mit mir kommen. Aber eins sage ich dir! Konkurrenz machste mir keine, verstanden? Oder du lieferst die Hälfte des Geldes, das dir die Kerle geben, bei mir ab.«
Ciara begriff, dass Maud glaubte, sie würde ebenfalls als Hure arbeiten, und wollte sich schon zurückziehen. Der Gedanke, dass die andere ihr eine Unterkunft für die Nacht angeboten hatte, hielt sie davon ab. Vielleicht kannte Maud sogar einen Pfandleiher. Daher nickte sie, obwohl die Hure es bei dem schwachen Mondlicht nur undeutlich sehen konnte.
»Ich komme mit dir und verspreche dir, dass ich dir weder deine Pennies wegnehmen noch deinen Fleischpudding wegessen werde!«
Als Ciara auf Maud zutrat, roch sie die Ausdünstung nach Bier und billigem Schnaps, den diese verströmte, und fragte sich bedrückt, ob dies die einzige Möglichkeit war, solch ein Leben zu ertragen.
13.
A ls Ciara am nächsten Morgen erwachte, fand sie sich in einem engen Verschlag wieder, der zwischen zwei festen Steinmauern errichtet worden war. Das Kämmerchen war gerade groß genug für ein schmales Bett, auf dem eine Frau mittleren Alters lag und schnarchte, eine einfache Kochstelle sowie einen Tisch und einen schiefen Stuhl. Sie selbst lag zusammengeringelt halb unter dem Tisch und hatte den Kopf auf ein schmutziges Kissen gelegt.
Zunächst wunderte Ciara sich über ihre Umgebung. Dann fiel ihr ein, dass Simon sie im Stich gelassen hatte und geflohen war. Die Frau hier musste Maud sein, die Hure, die sich in einer Schenke am Fluss den Matrosen angedient hatte und beim Heimweg auf sie getroffen war.
Noch während Ciara über die Winkelzüge des Schicksals nachdachte, meldete sich ihre Verdauung. Rasch kroch sie unter dem Tisch hervor und streckte den Kopf zur Tür hinaus. Doch direkt davor lag eine mit Flusskieseln gepflasterte Straße. Passanten eilten vorbei, ohne sie anzusehen. Die meisten sahen abgerissen aus, viele verhärmt.
Würde dies auch ihr Los sein?, fragte Ciara sich. Ihr rumorender Darm machte ihr aber rasch klar, dass es Dringlicheres als eine mögliche Zukunft gab. Da sie sich nicht einfach auf die Straße setzen und sich erleichtern konnte, kehrte sie in den Verschlag zurück und rüttelte Maud.
Die Frau schlug im Halbschlaf nach ihr, doch Ciara gab nicht auf. Schließlich öffnete Maud die Augen und starrte sie an. »Wer bist du
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