Feuerwogen
doch.«
»Ja, aber …«
»Hey, Regina.« Ein rötlicher, rundgesichtiger Mann, der einen Schutzhelm und einen Werkzeugkasten trug, grüßte sie von der Straße her. »Bei euch war ja gestern was los. Geht’s euch allen gut?«
Autos fuhren herbei, Leute blieben stehen, um zu gaffen. Dylan fühlte sich vom Geruch und dem Geschiebe der Körper bedrängt.
»Ja, danke, Doug.«
Sein Blick fiel auf Dylan. »Sind Sie der Bursche, der sie gefunden hat?«
Dylan mied seinen Blick. »Ja. Und Sie sind …?«
»Doug repariert die Kabel auf der Insel«, erläutete Regina. »Er isst zwei-, dreimal pro Woche bei uns.«
»Stimmt.« Doug verlagerte sein Gewicht und das des Werkzeugkastens. »Übrigens will ich heute Mittag wieder zu euch.«
»Wir machen erst abends wieder auf«, erwiderte Regina. »Aber wenn du morgen kommst, kann ich …«
Dylan hatte jetzt genug.
»Entschuldigen Sie uns«, sagte er und ging einfach.
Da seine Hand über der von Regina auf seinem Arm lag, hatte sie keine andere Wahl. Sie musste ihm folgen.
Er wollte Luft. Er wollte Meer. Er wollte Regina von den Leuten befreien, die sich um sie herumdrängten, und von den Umständen, die sie einpferchten. Er wollte sie. Immer noch. Schon wieder.
Und da er nicht haben konnte, was er wollte, suchte er sich den nächsten Ausweg, eine Abzweigung von der Hauptstraße, die zur Inselkirche und dem Friedhof führte, der an der Flanke des Hügels vor sich hin träumte.
Dylan blieb zwischen den schiefen Grabsteinen und dem harten Gras stehen und atmete die Stille und den Wacholderduft ein.
»Na wunderbar.« Regina stieß die Luft aus. »Das war ganz schön unhöflich.«
Er wollte sie nackt. Sie hatte ja keine Ahnung.
»Nicht so unhöflich wie sie. Nicht halb so unhöflich, wie ich gern gewesen wäre. Wie hältst du das bloß aus?«, fragte er. »Wie hältst du sie aus? All diese Leute. Alles, was sie im Sinn hatten, war Klatsch und ihr eigener Vorteil. Nicht einem von ihnen warst du wichtig.«
Sie reckte das Kinn. »Ach, dir aber schon.«
»Ich …« Er öffnete den Mund und zog die Brauen zusammen. War er wie ihre geistlose Freundin, wie ihr hungriger Restaurantgast, nur auf seine eigenen Anliegen und Bedürfnisse konzentriert?
Oder doch nicht?
Warum sollte er sich daran stören? Sie hatte es letzte Nacht auch nicht gestört. Oder am Abend der Hochzeit seines Bruders. Er schloss den Mund wieder.
Regina lächelte schmallippig, und in seinen Eingeweiden bildete sich ein Knoten. »Ja, das habe ich mir gedacht.«
Sie seufzte wieder und lehnte sich gegen die niedrige Steinmauer, die den Friedhof umgab. »Erzähl mir von der Beziehung zu deiner Schwester.«
Was wollte sie jetzt schon wieder?
»Lucy? Ich kenne sie kaum.«
»Das sagtest du schon.« Regina legte den Kopf schief. »Du hast nur noch nicht gesagt, warum.«
»Ich …« Er trat ins Gras. »Sie war ein Jahr alt, als ich damals weggegangen bin.«
»Na ja, mittlerweile ist sie erwachsen geworden. Das solltest du auch. Nur weil du mit dreizehn Jahren aus deiner Familie gerissen wurdest, ist das noch keine Entschuldigung dafür, den Rest deines Lebens im Zustand der emotionalen Entwicklungshemmung zu verbringen.«
Emotionale Entwicklungshemmung …
Er mahlte mit den Zähnen. Aber das ironische Verständnis in Reginas Augen spülte seinen Ärger und seine Abwehr fort.
»Ich sehe eigentlich keinen Anlass, jetzt eine Beziehung zu ihr aufzubauen«, sagte er steif.
»Weil du sie nicht brauchst.«
Er ließ nicht zu, dass er jemanden brauchte. »Ja.«
Reginas Blick begegnete dem seinen, und ihre dunklen, ausdrucksvollen Augen wirkten überraschend teilnahmsvoll. »Hast du je daran gedacht, dass
sie
dich vielleicht brauchen könnte?«
Sein Herz klopfte. »Sie hat Caleb. Und unseren Vater.«
»Und das reicht«, soufflierte Regina.
Das war mehr, als er hatte. Aber er konnte, er wollte sich nicht erlauben, das zu sagen. Er war ein Selkie, dachte er halb verzweifelt. Er hatte vor über zwanzig Jahren seine Entscheidung getroffen.
»Sie macht jedenfalls keinen leidenden Eindruck«, hielt er dagegen.
»Woher willst du das wissen? Du hast sie vorhin in der Küche ja nicht mal angesehen.«
Dylan runzelte die Stirn. Das hatte er wirklich nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit hatte Margred gegolten. Als er seine Schwester angesehen hatte, als er es auch nur versucht hatte, war sein Blick über sie hinweggeglitten. Sie war wie eine Eisskulptur, farblos, undurchsichtig.
»Sie interessiert mich
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