Feuerwogen
Gemeinschaftsgefühl. Dieses Gefühl, angenommen zu sein. Dazuzugehören.
Zumindest wären sie das, dachte Dylan, wenn er ein Mensch wäre.
Wenn man jahrtausendelang im Meer gelebt hatte, waren die paar Tage, die die Übermittlung einer Botschaft dauerte, nichts. Aber dieses eine Mal hätte er gegen die menschliche Technologie, die die Wellen verschmutzte und den Meeresboden aufgerissen hatte, nichts einzuwenden gehabt.
Dylan schwamm etwa eineinhalb Kilometer vor der Küste durchs Wasser. Er ließ die langen, bleichen Beine baumeln, als wären sie Haiköder; die Kälte ließ sein Gemächt schrumpfen. Seine menschliche Gestalt war eine weitere Unannehmlichkeit, die er ertragen musste. Die Einzelheiten von Botschaften gingen im Wasser über große Entfernungen hinweg leicht verloren. Dylan brauchte sein menschliches Gehirn dazu, um die Bilder, die er Conn schickte, Form annehmen zu lassen und im Detail auszumalen.
Vor allem deshalb, weil die Boten, die er gerufen hatte, die Information, die er ihnen übermittelte, ebenso filtern würden wie den Ozean, den sie nach Nahrung durchkämmten, um nur das aufzunehmen, was sie auch verwerten konnten.
Sie kamen. Ihre langen, glatten Rücken und ihre ungleichen Finnen durchbrachen mitunter die helle Wasseroberfläche. Sie waren riesige, träge Seiltänzer des Meeres mit sanften, unergründlichen Augen und Fluken, die so unverwechselbar waren wie Schneeflocken. Zwei Männchen, ein Weibchen und ein Kalb, angelockt von Dylans Ruf. Nicht nah, nicht zu nah. Ihr Gewicht konnte ihn hinunterdrücken, in ihrer Bugwelle konnte er ertrinken, die Seepocken an ihren Flanken konnten ihn blutig kratzen. Allein das Kalb wog schon eine Tonne.
Eines der Männchen schlug zum Gruß mit der Seitenflosse ins Wasser, so dass es sich über Dylans Kopf brach, was eine Welle der Heiterkeit bei allen auslöste.
Er kam prustend wieder hoch.
Sie fragten nicht danach, warum Dylan sie gerufen hatte und warum in dieser Gestalt. Den
whalelyn
war das bloße Da-Sein genug. Sie hießen ihn unermesslich freundlich willkommen. Ihr kollektives Interesse hüllte ihn ein. Während sie ihn umkreisten, sog ihr Lied seine Geschichte auf, wob seine Botschaft in die Harmonien ein, die den Atlantik in seinem großen, tiefen Blau, seiner klaren, kalten Dunkelheit zusammenhielten.
Dylan hatte keine Ahnung, wie die Worte und Bilder seines Berichts Conn übermittelt werden würden, wie sich »obdachlos« oder »Kruzifix« in den Gesängen der Wale in Noten übersetzen ließ. Aber sie verstanden die Bedeutung von »Kind, das entsteht«. »Mutter Liebe Vater Sorge Familie Freude« wogte in Wellen über ihn hinweg. Ihr Lied rauschte in seinen Ohren wie die Brandung, füllte sein Herz mit Frieden und trieb mit ihm an die Küste zurück.
Im flachen Wasser erhob er sich, mit vollem Herzen und leerem Geist, die Muskeln locker und entspannt. Er warf das nasse Haar zurück und überflog den Strand.
Und sah seinen Vater neben seinen Kleidern sitzen.
Mist.
Dylans Freude floss von ihm ab wie die Wellen, die seine Knöchel umspülten. Sie waren gefangen in einem einsamen Amphitheater aus Fels und Sand, ohne andere Zeugen ihrer Begegnung als der Fichte, die am Strand Wache hielt, und ein paar Wolkenfetzen.
Bart Hunter hatte einen Ellbogen auf das angezogene Knie gestützt und starrte auf die See hinaus.
Dylan watete aus der Brandung. Er konnte dem alten Mann nicht aus dem Weg gehen. Am besten, er ignorierte ihn. Er bückte sich nach seiner Jeans.
»Sie kam immer hierher«, sagte Bart. »Deine Mutter.«
Dylan wollte nicht über seine Mutter sprechen, wollte seine Erinnerung an sie nicht teilen. Schon gar nicht mit seinem Vater.
Er stieß einen feuchten Fuß ins Hosenbein.
»Nicht nur mit euch Kindern«, fuhr Bart fort. »Schon bevor ihr geboren wart.«
Okay, das wollte Dylan wirklich nicht hören. Er zog die Jeans über den zweiten Fuß.
»Dort drüben war sie an Land gekommen …«
Gegen seinen Willen sah Dylan über die Schulter und folgte dem Blick seines Vaters dorthin, wo er selbst aus dem Wasser gestiegen war.
Bart schüttelte den Kopf. »Die schönste Frau, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, und dann sagt sie, dass sie mich liebt.« Er lachte verwundert und ungläubig auf, doch es klang so rauh wie ein Schluchzen. »Mich, der ich nichts außer Hummer und den Gezeiten kannte. Ich war damals nicht viel älter als unsere Lucy. War in der siebten Klasse von der Schule abgegangen. Hatte noch nie die Insel
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