Feurige Küsse
und doch nervös gehetzt von der Angst, sie könne ihm im letzten Moment wieder entrissen werden. Sie traute sich nicht, ihn zärtlich zu berühren, weil Zärtlichkeit zu dieser Art verzweifelten Akts nicht zu passen schien. Also unterdrückte sie den kurzen Schauder und hielt sich an den Seitenkanten fest, um von seinen kraftvollen Stößen nicht über die Tischplatte katapultiert zu werden.
Mit einem seltsam gutturalen Knurren erstarrte er, um gleich darauf die Maske des Animalischen abzuwerfen.
„Entschuldige, ich wollte eigentlich nicht mit dir den Tisch abwischen! Komm, lass dir aufhelfen …“
In dem Moment, in dem sie aus sitzender Position einen Blick hinter ihn werfen konnte, erstarrte sie. Aus dem Dunkel der Käfige funkelten jede Menge Augenpaare, gebannt auf die hellerleuchtete Szene in der Küche starrend.
„Mein Gott, was machen die da?“
„Wer denn …?“
Er drehte sich um, warf einen kontrollierenden Blick hinter sich und atmete sofort beruhigt wieder aus.
„Ach, die … Sie sind nur neugierig. Haben sie dich erschreckt? Kein Grund zur Aufregung. Sie finden alles enorm interessant, was Menschen tun. Wir hätten das Licht ausmachen sollen, aber ich wollte dich gerne ansehen dabei …“ Er strich ihr beruhigend und zärtlich die zerzausten Haare zurück und hauchte einen Kuss auf ihre Nasenspitze. „Komm, ich helfe dir beim Anziehen. Wirst du wieder herkommen?“
Die Naivität seiner Frage rührte sie. Er hielt ihr jetzt Rock und Slip hin, ohne irgendein Zeichen, dass er sich seiner eigenen Nacktheit bewusst war.
„Ich weiß nicht. Sollte ich?“
„Ach, bitte ja! Donnerstag abends habe ich immer allein Spätschicht.“
„Ich weiß noch nicht, ob ich dann Zeit habe. Wie heißt du eigentlich?“
„Henri – wenn ich nicht da bin, warte einfach. Ich komme manchmal spät.“
Am nächsten Donnerstag musste sie Protokoll bei einer Abendsitzung führen, den übernächsten forderte ihre Schwester sie als Babysitter an. Am dritten Donnerstag endlich stand sie mit vor Nervosität flatternden Händen wieder vor dem Affengehege. Heute war dort deutlich mehr Betrieb. An der Stelle, an der die Äffin sich so seltsam benommen hatte, spielten jetzt zwei Halbwüchsige mit einem langen Ast. Carola schaute ihnen eine Weile zu, bis sie genug davon hatten. Die Schatten wurden länger. Die Affen machten sich laut schnatternd auf den Weg in ihr Nachtquartier.
Als sie hinter sich das blecherne Scheppern von Eimern hörte, drehte sie sich rasch um. Ein älterer, gebeugter Wärter in khakifarbenem Arbeitsdress warf ihr einen misstrauischen Blick zu.
„Was machen Sie hier eigentlich noch? Wir haben seit einer Viertelstunde geschlossen!“
„Entschuldigung, ich warte auf Henri. Wir wollten uns hier treffen.“
„Oje, oje …“ Der Alte kratzte sich unsicher im Genick, schob die Mütze nach vorne, rieb die Nase. „Tja, wie soll ich’s ihnen sagen, junge Dame. Den werden sie hier lange nicht mehr finden. Der hatte einen Unfall. Dumme Sache.“
„Was ist denn passiert?“
„Komische Geschichte, das! Ist immer wunderbar mit dem Affen zurechtgekommen. Der hat ihm praktisch aus der Hand gefressen, seit er ihn mit Äpfeln verwöhnt hat als Neuling. Hätte geschworen, dass er neben ihm schlafen kann! Und dann – aus heiterem Himmel, zack – geht ihm direkt an die Kehle. Hat versucht, ihm die Halsschlagader zu zerfetzen. Wir haben ihn schreien gehört und sind alle hin. Konnten zu dritt das Vieh kaum von ihm losreißen, wie tollwütig. Der Doktor hat es sicherheitshalber gleich erschossen und Henri vermutlich das Leben gerettet. – Aber es hat ihn bös erwischt! Wird die Narben wohl für immer behalten. – Tja, ein Tier ist halt ein Tier … Kennen Sie ihn schon lange? Ich hab Henri jetzt schon oft besucht, aber er hat nie von Ihnen gesprochen …“
Sie schüttelte den Kopf als Antwort auf die Frage. Wie betäubt wandte sie sich ab und ging Schritt für Schritt den Hauptweg entlang zum Ausgang.
„He, junge Dame, wollen Sie denn gar nicht wissen, in welchem Krankenhaus er liegt?“
Carola drehte sich um.
„Im St. Vinzent, Abteilung Chirurgie.“
Sie nickte ihm dankend zu und ging nach Hause.
Heute Abend …
Heute Abend werde ich sie so richtig schockieren. Ich sehe sie direkt vor mir: ihre entsetzten Gesichter, Vaters Schnaufen, das aus den Tiefen seines schweren, über den Gürtel hängenden Bierbauchs dringt – der Gürtel, mit dem er mich so gerne und ausgiebig geschlagen hat. In
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