Feurige Küsse
wahrgenommen hatte. Genießerisch sog sie die parfümierte Abendluft ein.
Eine Handvoll Liegestühle gruppierte sich am äußeren Rand des Steinpflasters. Sie wirkten wie Fremdkörper, unpassend und störend bis auf einen. Zwischen den in künstlichem Weiß leuchtenden Plastikliegen stach der dritte von links deutlich ab: ein sorgfältig geflochtener Korbstuhl mit verlängertem Fußteil. Sein mattes Grau, das ihn mit dem Granit des Bodens beinahe verschwimmen ließ, verlieh ihm etwas Unwirkliches. Als könne er verschwinden, wenn man einen Moment die Augen schloss.
Gabriele verspürte plötzlich das seltsame Bedürfnis, Harald wegzuschicken, die besondere Atmosphäre dieses stillen Winkels für sich allein auszukosten. Besonders dieser eine Liegestuhl sah so einladend aus, als stünde er nur für sie bereit. Er zog sie geradezu magnetisch an. Unwillkürlich trat sie einen Schritt darauf zu, als lautes Platschen sie zusammenfahren ließ.
Es kam vom beleuchteten Swimmingpool hinter den inzwischen schwarz erscheinenden Kamelienbüschen, die diese Oase vom Rest des Gartens abschirmten.
Mit leisem Widerstreben folgte sie Haralds raschen Schritten, der bereits zwischen ihnen verschwunden war.
Die Terrakottafliesen der Beckenumrandung strahlten die Wärme des Tages noch durch die dünnen Sohlen von Gabrieles Abendsandaletten ab. Der einsame Schwimmer, dessen missglückter Kopfsprung sie hergeführt hatte, kletterte aus dem Becken, nickte ihnen zu und verschwand.
„Was meinst du?“ Harald blinzelte sie mutwillig von der Seite an. „Sollen wir …?“
Gabriele zögerte. „Und wenn jemand kommt?“
In dem Moment erloschen die Lichter, die das Wasser illuminiert hatten, und es schimmerte schwarz im letzten Restlicht des Abends.
„Jetzt kommt sicher niemand mehr.“
Harald öffnete im Handumdrehen seinen Gürtel, streifte alle Kleider ab und warf sie achtlos auf einen Haufen. Einen Augenblick lang stand er nahezu regungslos; sie betrachtete ihn mit dem distanzierten Interesse einer Außenstehenden. Seine Rückenansicht war immer noch ein großartiger Anblick: ein nackter Athlet. Seine helle Haut wie Marmor vor dem dunklen Hintergrund. Das diffuse Licht retuschierte den weich gewordenen Bauch, das schütter gewordene Haar. Ganz plötzlich blitzte der Wunsch in ihr auf, ihn zu berühren, seine vertrauten Formen nachzufahren, sich an ihn zu pressen. Aber da tauchte er bereits nahezu lautlos in die unheimliche Schwärze, und sein Kopf verschwand in der Dunkelheit, während er zum anderen Ende des Beckens kraulte.
Sie folgte seinem Beispiel vorsichtiger, ließ sich vom Rand ins lauwarme Wasser gleiten, genoss die glatte Berührung beim langsamen Eintauchen, das Gefühl, wie das Wasser ungehindert an ihrem nackten Körper entlangstrich. Ihn trug und liebkoste, als sei er eine zerbrechliche Kostbarkeit.
„Ich sollte wieder regelmäßig schwimmen. Ich bin ganz aus der Übung.“ Prustend tauchte Harald neben ihr auf und schüttelte sich das Wasser aus Haaren und Ohren. „Wollen wir um die Wette schwimmen?“
Die nächsten Tage absolvierten sie die üblichen Touristenausflüge, tranken Unmengen Cappuccino auf Seeterrassen, kauften Souvenirs für die Kinder und Großeltern und benahmen sich wie Tausende anderer Urlauber, die die Promenaden bevölkerten. Nur eine ungewohnte Gereiztheit machte Gabriele zu schaffen, eine Art Unzufriedenheit, ziellos und unbestimmt, die sie sich selbst nicht erklären konnte. Sie schob es auf den Klimawechsel und die ungewohnte Umgebung und versuchte so gut wie möglich, sie zu ignorieren.
Am Abend des vierten Tages schloss Harald Bekanntschaft mit einem neuen Gast, der ihn zum Angeln auf sein Boot einlud. „Es macht dir doch nichts aus, für einen Tag allein zu bleiben?“, fragte er etwas ängstlich.
Sie erschrak, als sie spürte, wie das allgegenwärtige latente Unbehagen einer unterschwelligen Aufregung wich. Ein Tag, ein ganzer Tag, für die kleine Sonnenterrasse!
Als sie sich mit ihrem Badetuch, der Sonnencreme, dem Hut und natürlich dem Roman, den ihr Sabine mit der Verheißung „Es wird dir gefallen“ empfohlen hatte, dem versteckten Platz näherte, klopfte ihr Herz unnatürlich schnell. Wie selbstverständlich ging sie geradewegs auf den dritten Liegestuhl von links zu, breitete sorgfältig das Frotteetuch über die Polster und ließ sich hineinsinken. Sie war allein, niemand sonst schien an diesem Platz ein Interesse zu haben, und darüber war sie auf indifferente
Weitere Kostenlose Bücher