Feurige Schatten - Carriger, G: Feurige Schatten - Heartless (04)
kontaktieren muss. Das alte Rudel meines Mannes muss mir die Einzelheiten des damaligen Komplotts enthüllen. Nur durch sie kann ich dieses Rätsel aufklären. Es fällt mir schwer zu glauben, dass der OMO nicht darin verwickelt war, aber wenn Ihre Tante das mit solcher Überzeugung behauptet, kann nur der Ursprung dieser Bedrohung selbst die Wahrheit ans Licht bringen.«
»Aber meine Tante war niemals ein Mitglied des Ordens.«
»Das war sie nicht?« Alexia war aufrichtig erstaunt.
»Absolut nicht. Damals, zu ihrer Zeit, war es Frauen nicht gestattet, dem OMO beizutreten. Das ist sogar heute noch schwierig.« Die französische Erfinderin, einer der klügsten Menschen, denen Alexia je begegnet war, fasste sich in den Nacken, um dort die Oktopus-Tätowierung zu berühren, die knapp unter den Locken ihres skandalös kurz geschnittenen Haares verborgen war. Alexia versuchte sich vorzustellen, wie Genevieve ohne ihre geheime Welt im Untergrund wohl sein würde. Es gelang ihr nicht.
»Ich werde jemanden nach Schottland schicken müssen«, sagte Alexia. »Ich nehme nicht an, dass …«
Madame Lefoux sah noch unglücklicher aus. »O nein, es tut mir leid, meine liebste Alexia, aber dafür kann ich keine Zeit aufbringen. Nicht im Moment. Ich muss das hier«, sie deutete schwach auf das monströse Ding, das sie baute, »zu Ende bringen. Und auch an meine Tante denken. Ich sollte bei ihr sein, jetzt, da das Ende nahe ist.«
Lady Maccon wandte sich zu der Erfinderin um und nahm sie behutsam in die Arme. Madame Lefoux schien das mehr als alles andere zu brauchen. Aufgrund ihres Bauches musste Alexia dafür eine unbequeme Haltung einnehmen, aber sie spürte, wie die Anspannung in den steifen Schultern ihrer Freundin nachließ, und das war es wert. »Möchten Sie, dass ich sie auf den Weg schicke?«, fragte Alexia mit gedämpfter Stimme.
»Nein, danke. Ich bin noch nicht bereit, sie gehen zu lassen, verstehen Sie?«
Alexia seufzte und ließ ihre Freundin los. »Nun, machen Sie sich in dieser speziellen Angelegenheit, wegen der ich Sie aufsuchte, keine Sorgen. Ich werde der Sache auf den Grund gehen. Selbst wenn ich Ivy Tunstell nach Schottland schicken muss!«
Schicksalhafte Worte, die Alexia – wie es oft bei leichtfertig Dahingesagtem der Fall ist – noch bereuen sollte.
6
Mrs Tunstell erweist sich als nützlich
W ären sie nicht kürzlich erst in ihre neue Unterkunft gezogen, hätte Lady Maccon möglicherweise eine andere Wahl getroffen – einen von Woolseys älteren Clavigern vielleicht. Aber der Umzug hatte eine Menge Durcheinander ins Rudel gebracht. Werwölfe waren bei Weitem nicht derart an einen Ort gebunden wie Vampire, aber sie waren, um es einfach auszudrücken, aneinander gebunden, ganz zu schweigen davon, dass sie ausgesprochene Gewohnheitstiere waren. Solch eine radikale Veränderung irritierte sie, und das wiederum machte ein Aufrechterhalten der Gemeinschaft und der gegenseitigen Nähe für den künftigen Zusammenhalt des Rudels noch wichtiger. Wäre BUR nicht mit eigenen Ermittlungen wegen des drohenden Attentats auf Königin Victoria beschäftigt gewesen, hätte Alexia vielleicht Haverbink oder einen anderen erfahrenen Ermittler eingespannt. Hätte das Schattenkonzil seine eigenen Agenten gehabt, hätte sich die Muhjah auch eines Mitarbeiterstammes bedienen können. Da aber keine dieser Möglichkeiten zur Verfügung stand, gab es für Lady Maccon nur eine einzig mögliche Wahl – so sonderlich und wenig klug die auch erscheinen mochte.
Dafür, dass Mrs Tunstell ihr gemietetes Quartier mit lässiger Hand und geistesabwesendem Naturell führte, war ihr Haushalt straff organisiert. Die Räume waren sauber und aufgeräumt, und Besucher konnten versichert sein, dass ihnen – je nach Geschmack und Neigung – eine anständige Tasse Tee oder eine Dessertschale mit rohem Fleisch angeboten wurde. Trotz eines Interieurs, das in allen Schattierungen von Pastelltönen erstrahlte, war Ivys Zuhause ein Hort, in dem man sich gern versammelte. Demzufolge hatten sich die Tunstells unter den eingeweihten Einwohnern des West Ends einen Namen als angenehme Gastgeber gemacht, die sich für ein breites Feld an Themen interessierten und allzeit gewillt waren, einem freundlichen Besucher ihre Tür zu öffnen. Dies wiederum führte dazu, dass man praktisch zu jeder beliebigen Uhrzeit irgendeine Sorte von mittelmäßigem Dichter oder belanglosem Bildhauer bei ihnen vorfand.
So kam es, dass Lady Maccon, als sie
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