Fever Pitch
Entwicklungsverzögerung für mich.
Ich hatte eigentlich kaum was mit der Universität zu tun. Ich spielte nicht in der Theatergruppe, schrieb keine Beiträge für BROADSHEET oder STOP PRESS, trug nicht das Blau der Universitätssportmannschaften, versah kein Präsidentenamt in der Studentengewerkschaft, interessierte mich nicht für studentische Politik oder Verbindungen, betrieb keine wissenschaftlichen Forschungen, besuchte keine Ausstellungen, ich tat gar nichts in der Richtung. Ich ging ein paarmal die Woche ins Kino, blieb lange auf und trank Bier, ich traf eine Menge netter Leute, die ich immer noch regelmäßig sehe, ich kaufte und lieh mir Platten von Graham Parker, Patti Smith, Bruce Springsteen und The Clash, ich besuchte im ersten Jahr eine einzige Vorlesung, ich spielte zweimal die Woche für die zweite oder dritte Mannschaft des College … und ich wartete auf Heimspiele im Abbey Stadium und Pokalpartien in Highbury. Ich schaffte es tatsächlich, dafür zu sorgen, daß all die Vorrechte, die eine Ausbildung in Cambridge ihren Empfängern verleihen kann, komplett an mir vorbeigingen. In Wahrheit hatte ich Angst vor Cambridge, und Fußball, mein Kindheitströster, meine Schutzhülle, war ein Weg, damit fertigzuwerden.
Jungs und Mädchen
Arsenal gegen Leicester – 2.4.77
Ich tat in jenem Jahr auch noch etwas anderes, als Fußballspiele anzusehen, mich zu unterhalten und Musik zu hören: Ich verknallte mich magenzusammenreißend in ein kluges, hübsches und lebhaftes Mädchen von der pädagogischen Hochschule. Wir machten klaren Tisch (sie hatte in den ersten paar Wochen bereits die Aufmerksamkeit einiger anderer Interessenten erregt, ich hatte zu Hause eine Freundin) und verbrachten den Großteil der nächsten drei oder vier Jahre in Gesellschaft des anderen. Ich glaube, sie ist auf vielerlei Weise Teil dieser Geschichte. Sie war unter anderem die erste Freundin, die je nach Highbury kam (in den Osterferien, am Ende unseres zweiten Trimesters). Die Hoffnungen, die man am Anfang der Saison in den neuen Besen gesetzt hatte, waren längst verflogen; tatsächlich hatte Arsenal gerade den Club-Rekord für die längste Niederlagenserie in seiner Geschichte überboten – die Mannschaft hatte es geschafft, nacheinander gegen Manchester City, Middlesbrough, West Ham, Everton, Ipswich, West Brom und QPR zu verlieren. Wie auch immer, sie bezauberte das Team genauso wie sie mich bezaubert hatte, und wir erzielten in den ersten zwanzig Minuten des Spiels drei Treffer. Graham Rix machte bei seinem Debüt das erste Tor, und David O’Leary, der während der nächsten zehn Jahre noch ungefähr ein halbes dutzendmal erfolgreich sein sollte, machte innerhalb von zehn Minuten zwei Stück. Wieder einmal war Arsenal rücksichtsvoll genug, sich so seltsam zu verhalten, daß nicht nur der Anlaß, sondern das Spiel selbst für mich denkwürdig bleiben sollte.
Es war eigenartig, sie hier zu haben. In einer irrigen Vorstel
lung von Ritterlichkeit – ich bin sicher, sie hätte lieber gestanden – bestand ich darauf, daß wir Sitzplatzkarten für den unteren Bereich der Westtribüne kauften; das einzige, woran ich mich heute noch erinnere, ist ihre Reaktion auf Arsenals Tore. Jeder in der Reihe stand auf, abgesehen von ihr (auf Sitzplätzen aufzustehen, um ein Tor zu bejubeln, ist eine unwillkürliche Handlung, wie Niesen), und dreimal schaute ich zu ihr rüber und sah, wie sie sich vor Lachen schüttelte. »Das ist so lustig«, sagte sie in der Absicht, eine Erklärung zu liefern, und ich konnte ihre Sicht der Dinge verstehen. Es war mir vorher wirklich noch nie in den Sinn gekommen, daß Fußball tatsächlich ein lustiges Spiel war und daß – wie bei den meisten Dingen, die nur funktionieren, wenn man an sie glaubt – der Blick hinter die Kulissen (und da sie sitzen blieb, hatte sie einen Blick hinter die Kulissen, genau entlang der Linie zumeist unförmiger, männlicher Hinterteile) lächerlich ist, so lächerlich, wie die rückwärtige Sicht auf irgendwelche Bauten für irgendwelche Hollywood-Filme.
Unsere Beziehung – für uns beide die erste ernsthafte, langfristige Bleib-über-Nacht-, Triff-die-Familie-, Wie-wärs–einesTages-mit-Kindern-Geschichte – drehte sich teilweise nur darum, zum ersten Mal die Geheimnisse unserer Entsprechun gen im anderen Geschlecht zu entdecken. Ich hatte natürlich schon vorher Freundinnen gehabt; aber ich und dieses Mädchen hatten einen ähnlichen Werdegang und ähnliche
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