Fever Pitch
wieder gegeben wären – und diese Umstände schlössen eine hoffnungslos unzulängliche örtliche Polizeitruppe (Brian Glanville berichtet in seinem Buch CHAMPIONS OF EUROPE, die belgische Polizei habe sich gewundert, daß die Gewalttätigkeiten losgingen, bevor das Spiel anfing, wo doch ein einfacher Telefonanruf bei irgendeiner großstädtischen Polizeiwache in England genügt hätte, das richtigzustellen), ein lächerlich baufälliges Stadion, eine bösartige Clique gegnerischer Fans und bemitleidenswert armselige Planung durch die relevanten Fußballfunktionäre mit ein –, genau das gleiche passieren würde.
Ich denke, das ist der Grund, warum ich mich der Ereignisse jenes Abends dermaßen schämte. Ich wußte, daß Arsenalfans möglicherweise das gleiche getan hätten und daß ich ganz sicher dort gewesen wäre, wenn an jenem Abend Arsenal in Heysei gespielt hätte – nicht kämpfend oder auf Leute zurennend, aber eindeutig ein Teil der Gemeinschaft, die diese Art von Verhalten hervorbrachte. Und jeder, der den Fußball einmal für das benutzt hat, für das er bei zahllosen Anlässen benutzt wird, nämlich um den aufregenden Anflug des Tierischen zu spüren, der sich unweigerlich auf einen derart gesinnten Zuschauer überträgt, muß sich gleichfalls geschämt haben. Denn der tatsächlich entscheidende Punkt an der Tragödie war: Fußballfans konnten Fernsehberichte über, sagen wir mal, die Ausschreitungen beim Spiel Luton gegen Millwall oder den Messerstich bei der Partie Arsenal gegen West Harn ansehen und ein Gefühl des grausigen Entsetzens empfinden, ohne sich wirklich verbunden oder betroffen zu fühlen. Die Täter waren nicht die Art von Menschen, die wir anderen verstanden, oder mit denen wir uns identifizierten. Aber der Kinderkram, der sich in Brüssel als mörderisch erwies, gehörte eindeutig zu einem Kreis von offensichtlich harmlosen, aber ganz klar bedrohlichen Handlungen – laute Gesänge, ausgestreckte Mittelfinger, das ganze Harter-Mann-Getue –, denen sich eine sehr große Minderheit der Fans fast zwanzig Jahre lang hingegeben hatte. Heysei war, kurz gesagt, ein organischer Teil einer Kultur, zu der viele von uns, ich inbegriffen, beigetragen hatten. Du konntest diese Liverpoolfans nicht ansehen und dich fragen (so, wie du es bei den Millwallfans in Luton oder den Chelseafans beim Ligapokalspiel gekonnt hättest): »Wer sind diese Leute?« ; du kanntest sie schon.
Die Tatsache, daß ich das Spiel ansah, ist mir noch immer peinlich. Ich hätte den Fernseher ausschalten und alle dazu auffordern sollen, nach Hause zu gehen; ich hätte eine einseitige Entscheidung treffen sollen, daß Fußball unwichtig geworden war und das auch für eine ganze Weile bleiben würde. Doch mehr oder weniger alle, die ich kenne, wo immer sie auch zusahen, blieben vor dem Bildschirm hocken. In meinem Schulraum interessierte sich niemand mehr wirklich dafür, wer den Europapokal gewann, aber es blieb eine letzte, untilgbare Spur von Besessenheit in uns, die uns dazu verleitete, über die zweifelhafte Elfmeterentscheidung zu sprechen, die Juventus zu seinem 1:0-Sieg verhalf. Ich denke gern, daß ich auf die meisten mit Fußball verbundenen Irrationalitäten eine Antwort habe, aber diese eine scheint sich jeder Erklärung zu widersetzen.
Den Geist aufgeben
Arsenal gegen Leicester – 31.8.85
Die auf Heysei folgende Saison war die schlimmste, an die ich mich erinnern kann – nicht nur wegen Arsenals schwacher Form, obwohl es das nicht besser machte (und ich muß leider sagen, daß ich, hätten wir die Meisterschaft oder den Pokal geholt, ganz sicher fähig gewesen wäre, all diese Toten in einer Art anderem Licht zu sehen), sondern weil alles von dem, was im Mai passiert war, vergiftet zu sein schien. Die seit Jahren unmerklich rückläufigen Zuschauerzahlen waren noch weiter gesunken, und die mordsmäßig großen Löcher auf den Rängen waren plötzlich unübersehbar. Die Stimmung bei den Spielen war gedämpft; ohne europäische Wettbewerbe waren zweite, dritte und vierte Plätze in der Liga wertlos (ein vorderer Platz hatte einem Team bis dahin einen Platz im UEFA-Cup garantiert), und folglich waren die meisten Partien in der zweiten Hälfte der Saison sogar noch bedeutungsloser als gewöhnlich.
Eine meiner italienischen Schülerinnen, eine junge Frau mit einer Dauerkarte bei Juventus, bekam mit, daß ich ein Fußballfan war und fragte, ob sie mit mir zum Spiel gegen Leicester nach Highbury kommen
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