Fey 01: Die Felsenwächter
Heiterkeit, die Nicholas an ihm fremd war.
»Aber wir haben doch sonst nie …«
»Beklag dich nicht, Junge«, lachte Stephan und bedrängte Nicholas schon wieder. Nicholas mußte jede seiner Bewegungen parieren. Schon wurde ihm der Arm müde von diesem seltsamen, atemlosen Kampf. »Die Zeiten haben sich geändert.«
»Das Gefühl habe ich auch«, gab Nicholas zurück. Seine linke Hand fühlte sich leer an. Er hatte noch nicht oft mit einem Messer oder einem Schild gekämpft, aber er hatte sich auch noch nie gegen zwei Klingen auf einmal wehren müssen – außer in jener ersten Schlacht. Das war also Stephans Absicht: echte Kampfbedingungen simulieren. Wenn Stephan nicht fair kämpfen wollte, brauchte sich auch Nicholas nicht mehr an die Regeln zu halten.
Er wich vor Stephans Schwert zurück; dann führte er einen Schlag mit der flachen Klinge gegen die Messerhand des alten Mannes. Stephan sprang auf ihn zu, aber Nicholas wich aus und traf Stephans Messerhand noch einmal, dann drehte er die Klinge um und verletzte Stephan am Daumen oberhalb des Knöchels. Das reichte aus, damit der Alte den Griff um den Schaft des Dolches lockerte und Nicholas ihn ihm aus der Hand schlagen konnte.
Der Dolch klirrte gegen eine Hauswand.
»Jetzt kannst du auch ein bißchen Blut lecken«, triumphierte Nicholas.
Stephan biß die Zähne zusammen. Die Narbe auf seiner bleichen Wange zeichnete sich dunkel ab. Jetzt lächelte er nicht mehr. Er sprang vorwärts, stieß zu, machte gleich noch einen Satz hinterher, holte aus und kämpfte wie ein Besessener. Nicholas mußte jeden Stoß parieren, sonst hätte ihn der Alte erneut getroffen. Stephan stieß mit solcher Wucht zu, daß Nicholas nicht wagte, den Kampf einfach abzubrechen. Er hatte Angst, Stephan würde ihn ernsthaft verletzen.
Das war merkwürdig, wirklich merkwürdig. Stephan hatte noch nie zuvor auf diese Weise gekämpft, nicht in all den Jahren, die Nicholas sich von ihm ausbilden ließ. Seine Augen funkelten, und seine Bewegungen glichen nicht denen eines Mannes, der fast ein Jahr lang das Schwert hatte ruhen lassen.
Nicholas fuhr fort, sich zu verteidigen; er wich aus, parierte, hielt die Klingen gekreuzt, so lange es ging. Und jedesmal, wenn sich die Klingen wieder trennten und Stephan zurückwich, um zum Stoß auszuholen, trat Nicholas einen Schritt zurück. Jetzt kam ihm die Allee nicht mehr wie ein freundlicher Ort vor. Die Dunkelheit war wie ein Feind, und auf Stephans Gesicht zeigte sich der wilde Ausdruck eines Mannes, den Nicholas nicht kannte.
Schweißtropfen rannen über Nicholas’ Gesicht. Auch er hatte lange nicht trainiert, und obwohl er kräftig war, spürte er die fehlende Übung. Er biß sich die Unterlippe blutig und ließ Stephan keinen Moment aus den Augen. Nicholas tänzelte rückwärts, bis sein Rücken plötzlich warm wurde. Die Sonne. Er war im Hof angekommen.
Auf allen drei Seiten des Hofs hatten sich Leute versammelt und sahen mit ungewohnt ernsten Mienen zu. Niemand feuerte die Kämpfenden an. Sie schienen sich alle unbehaglich zu fühlen. Als er den Mittelpunkt des Halbkreises erreichte, hörte Nicholas auf, sich zu verteidigen, und machte mit letzter Kraft einen Ausfall. Er durchbrach Stephans geschwächte Linke und drängte das Schwert des Alten gegen dessen eigenen Leib. Schließlich verwundete er mit einer einzigen, schnellen Bewegung den linken Arm des alten Mannes von neuem.
»Und wieder Blut«, keuchte Nicholas. »Wir haben jetzt genug Blut geleckt, Stephan. Wir sind quitt.«
»Wir sind noch nicht fertig miteinander«, entgegnete Stephan. Er stand noch immer in der Allee, das Schwert zum nächsten Hieb erhoben.
»Aber ich bin fertig«, sagte Nicholas. Er warf sein Schwert zwischen ihnen auf den Boden. Staub wirbelte in kleinen Wolken auf. Stephan blickte auf die Waffe zu seinen Füßen, dann auf Nicholas. Dann machte er mit erhobenem Schwert einen Schritt auf Nicholas zu.
Angst stieg in Nicholas’ Kehle auf, aber er rührte sich nicht vom Fleck. »Wir sind fertig, Waffenmeister.«
Stephan erstarrte und blickte sich in der Menge um. Er hielt seine Position einen Augenblick zu lange. Und er lächelte nicht. »Ein Mann legt niemals mitten im Duell die Waffen nieder.«
»Es war kein Duell«, sagte Nicholas. »Es war ein Übungskampf.«
»Die Zeiten haben sich geändert, Euer Hoheit«, erwiderte Stephan. »Ihr müßt lernen, in der Schlacht zu kämpfen.«
»Ich habe in der Schlacht gekämpft.« Nicholas zitterte. Er biß die
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