Fey 01: Die Felsenwächter
Zähne zusammen. »Ich brauche keine Übungskämpfe mehr. Und du wirst niemals mehr im Unterricht Blut vergießen. Hast du das verstanden?«
Wieder dieser Blick. Stephans Augen verbargen etwas. Trotz? Dann lächelte er und verneigte sich. »Verstanden, Euer Hoheit.«
»Gut«, sagte Nicholas. Ohne Stephan aus den Augen zu lassen, bückte er sich vorsichtig, um seine Waffe aufzuheben. »Ich muß mich säubern. Und du mußt deinen Daumen verbinden lassen.«
»Sehr wohl, Euer Hoheit.«
Nicholas drängte sich durch die Menge und trat durch die Tür zum Festsaal. Dort, in der Kühle des Vorraums, lehnte er sich gegen die steinerne Wand, schweißtriefend und völlig erschöpft. Er schob sein Hemd hoch und untersuchte die Wunde. Sie war klein, nur ein Kratzer, nichts Ernstes. Das Blut war schon geronnen. Das Hemd war ruiniert, und er brauchte trotz allem einen Umschlag für die Wunde. Nicholas seufzte.
Er haßte es, daß das Leben sich verändert hatte. Er hätte sich denken können, daß auch Stephan sich verändern würde.
Seit Stephan mit der Fey-Frau gekämpft hatte, hatte er kein Schwert mehr in die Hand genommen. Sie hatte ihn und Lord Powell angegriffen und Stephan schwerverletzt zurückgelassen. Als Nicholas hinzugekommen war, hatte er nicht gewußt, daß Lord Powell tot war. Erst hatte er gedacht, die Fey hätten den Lord nur gefangengenommen, bis ihm jemand erklärt hatte, daß die Knochen zu seinen Füßen von einem menschlichen Skelett stammten und mit frischem Blut bedeckt waren.
Natürlich stiegen Zorn und Furcht wieder in Stephan hoch, sobald er zum Schwert griff. Auch Nicholas hatte nicht vergessen, wie es war, in der Schlacht zu kämpfen. Warum sollte also Stephan seine schwerste Niederlage verwunden haben.
Auf dem Weg zu seinem Zimmer nahm Nicholas zwei Stufen auf einmal. Die Vorstellung, seinem Vater erzählen zu müssen, daß es mit dem Schwerttraining ein für allemal vorbei war, gefiel ihm gar nicht. Wenn man bedachte, wie hart Nicholas um die Erlaubnis, überhaupt Unterricht nehmen zu dürfen, hatte kämpfen müssen, war es geradezu eine Ironie des Schicksals.
Er öffnete die Tür zu seinen Gemächern, trat ein und versetzte der Tür mit dem Fuß einen Stoß, so daß sie hinter ihm ins Schloß fiel. Als er das besudelte Hemd auszog, zuckte er zusammen. Die Bewegung hatte die Wunde wieder geöffnet. Er ergriff ein Tuch, das auf dem Tisch lag, und drückte es auf den Bauch. Nichts Ernstes, aber lästig.
Dann steckte er den Kopf in die eiskalte Waschschüssel, bis ihn fröstelte. Er richtete sich wieder auf und schüttelte die letzten Tropfen ab. Sie landeten auf seinem nackten Rücken und seiner Brust. Er griff nach einem Handtuch und rieb sich das Gesicht trocken, dann tauchte er einen Zipfel ins Wasser und wusch sich den Rest des Schweißes vom Körper.
Schließlich trocknete er sich endgültig ab und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. Die daunengefüllte Matratze umfing ihn weich. Sein Körper prickelte von der ungewohnten Anstrengung, obwohl er noch immer über eine gute Kondition verfügte. Aber dieser Kampf hatte ihn über Gebühr angestrengt. Er hätte sich ebensogut im Wald auf die Lauer legen und abwarten können, bis ein Fey auftauchte.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufschrecken.
»Ja?« sagte er.
»Euer Hoheit, Euer Vater wünscht Euch zu sprechen.« Es war die Stimme seines Kammerdieners. »Er sagt, es gebe Neuigkeiten.«
Wie oft hatte er diese Worte in den letzten Monaten gehört? Und es waren nur selten gute Neuigkeiten. Meistens handelte es sich um Tote, untergegangene Schiffe oder Nahrungsmittelknappheit in den Marschen. Sein Vater hatte über die entfernteren Provinzen, die noch nicht von den Fey überfallen wurden, eine Lebensmittelsteuer verhängt, und darüber waren die Landbesitzer gar nicht glücklich. Aber die Fey waren Jahn so nahe, daß die Bewohner der Stadt andernfalls selbst Hunger leiden müßten.
»Komm schon rein«, seufzte Nicholas. »Ich brauche deine Hilfe.«
Die Tür öffnete sich. Der Kammerdiener, ein hagerer Mann, trat ein. Drei Jahre lang war sein Sohn Nicholas’ Diener gewesen, doch der Junge war in der Schlacht umgekommen. Sein Vater schwieg meistens und sprach nur, wenn er wirklich etwas Wichtiges zu sagen hatte. Offenbar hatte er die Stellung seines Sohnes übernommen, weil er den Lebensunterhalt seiner Familie nicht allein aus den Erträgen des kleinen Bauernhofs, den er außerdem zu bewirtschaften versuchte, bestreiten konnte.
Der
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