Fey 01: Die Felsenwächter
verschwunden, Verzeihung, Hoheit«, widersprach der erste Mann und machte einen Schritt auf den Thron zu. Er schien der mutigere der beiden zu sein. »Sie haben eine Tür.«
»Wenn das stimmt, warum können wir die Tür dann nicht sehen?« fragte Lord Stowe.
»Könnt Ihr«, sagte der zweite Mann und neigte gerade noch rechtzeitig den Kopf, »Mylord.«
Nicholas stand wie angewurzelt. Wenn diese Männer die Wahrheit sagten, dann hatten sie tatsächlich das Versteck der Fey gefunden. Das war es, worauf die Lords ihre Hoffnung setzten. Die Fey in ihrem Versteck aufzustöbern und sie dann zu umzingeln.
Der erste Mann warf seinem Gefährten einen wütenden Blick zu und fuhr statt seiner fort: »Bei Tag kann man die Tür sehen. Um sie rum sind kleine Lichter wie Glühwürmchen. Man muß genau hingucken, damit man sie blinken sieht. Aber sie bilden einen Kreis, durch den ein Mann seinen Kopf und seine Schultern stecken kann.«
»Was habt ihr getan, nachdem ihr die Tür gefunden habt?« erkundigte sich Nicholas’ Vater.
»Wir ham’ gewartet, bis wir keinen mehr gesehen ham’, dann sind wir drum herum gegangen. ’s ist so, wie das am Fluß sein soll. Man fühlt nix, außer man macht die Augen zu und tut so als ob. Aber die Lichter um die Tür rum sind heiß, wenn man sie anfaßt.«
»Woher wollt ihr wissen, ob es die richtige Tür ist?« mischte sich Stephan in geringschätzigem Ton in das Gespräch. Nicholas warf ihm einen scharfen Blick aus dem Augenwinkel zu. Stephan stand straff und aufrecht da; die Strapaze von vorhin schien ihn nicht im geringsten ermüdet zu haben.
»Verzeihung, Herr, aber wir ham’ gesehen, wie der Kerl durchgegangen is’.«
»Was habt ihr?« fragte Stephan zurück. Sein Gesicht färbte sich rot. Warum regte er sich so auf? Vielleicht wußte er etwas, das Nicholas nicht wußte.
»Wir ham’ ihn durchgehn sehen. Er rannte vor uns weg, so schnell er konnte – wußte ja nich’, daß wir ihn absichtlich laufen ließen – und sprang durch die Tür, wie wenn man einen Kopfsprung in einen See macht. Dann war er weg«, erklärte der zweite Mann. Er fügte keine respektvolle Anrede hinzu.
»Ein Mann, der halb sichtbar, halb unsichtbar war, als ihr ihn zuerst gesehen habt«, wiederholte Stephan. Sein Ton unterstellte, daß die ganze Geschichte von vorn bis hinten erfunden war.
»Ja, Herr«, bestätigte der erste, ohne sich um Stephans ironischen Unterton zu kümmern. »Aber das hier war anders. ’s war, als ob der Kreis ihn frißt. Er ist durch eine Tür gegangen.«
»Die Stelle stimmt jedenfalls«, warf Nicholas ein.
»Lord Stowe«, sagte sein Vater. »Bringt diese Männer in einen Raum, wo sie sich waschen und ausruhen können, und gebt ihnen zu essen, was sie wollen. Dann holt Ihr Euch einen Schreiber und laßt sie alles wiederholen, woran sie sich erinnern, jede Kleinigkeit. Wir benötigen diesen Bericht, um die Sache zu überprüfen.«
Nicholas stand erstaunt auf. Jetzt wurde es doch gerade erst interessant. Sonst brach sein Vater eine Besprechung nie so unvermittelt ab, besonders nicht, wenn es um solch wertvolle Informationen ging. Vielleicht war auch ihm Stephans Unterton aufgefallen, und er wollte dem Waffenmeister dafür einen Verweis erteilen.
»Ich werde mich darum kümmern, Sire«, versprach der Lord.
»Gebt mir Bescheid, sobald Ihr damit fertig seid.«
»Jawohl, Sire.«
Lord Stowe führte die Männer aus dem Zimmer. Die Wachen starrten unbeirrt geradeaus, als hätten sie nichts gehört. Nicholas wartete auf seinen Vater. Er wollte ihn nicht in aller Öffentlichkeit ausfragen.
»Stephan, Nicholas, folgt mir«, befahl Alexander. Er zeigte auf einen der Gardisten und winkte auch ihm, ihnen zu folgen. Dann verließ der König das Podium durch die kleine Tür auf dessen Rückseite. Sie führte zu einem kleinen Zimmer, einst eine Kammer für Mithörer, die ungesehen bleiben wollten. Zum letzten Mal hatte Nicholas sich als kleiner Junge in diesem Raum versteckt. Dort hatte er seine erste Spinne gesehen. Sie krabbelte über den Fußboden, und Nicholas’ lautes Geschrei hatte die Audienz seines Vaters unterbrochen.
Der Raum war fast zu eng für alle vier Männer. Er besaß vier abgewetzte Stühle, die besser in die Behausungen der Diener gepaßt hätten. Alexander schob einen von ihnen vor die Tür, und der Wachsoldat nahm darauf Platz, den anderen Männern gegenüber. Nicholas und Stephan schoben sich zwei weitere Stühle heran. Nicholas’ Vater blieb stehen.
»Was ist
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