Fey 01: Die Felsenwächter
Porciluna zu erblicken.
»Ihr solltet wirklich aufstehen, wenn ein Kollege den Raum betritt«, rügte ihn dieser.
An Porciluna wirkte die schwarze Robe der Ältesten luxuriös. Sein ziseliertes Schwert ruhte auf dem höchsten Punkt seines gewölbten Bauches. Die Schärpe hatte er eher um sich herumgewickelt als gebunden, sie hob sich rot von dem schwarzen Stoff ab. Trotz der harten Lebensbedingungen des letzten Jahres wirkte Porciluna feist und behäbig, und Matthias haßte ihn dafür. Matthias selbst hatte erheblich an Gewicht verloren, was er sich eigentlich nicht leisten konnte, und jeden Morgen entdeckte er im Spiegel eine neue Sorgenfalte in seinem Gesicht.
Er stand nicht auf, legte aber die Feder sorgfältig nieder, um sich nicht die Finger mit der Tinte zu beschmutzen. »Waren wir geschäftlich verabredet, Porciluna?«
Der dicke Mann schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Ich dachte, Ihr würdet bestimmt wissen wollen, was heute passiert ist.«
Matthias deutete auf den Stuhl neben sich. Er drehte seinen Stuhl so weit, daß er Porciluna gut sehen konnte. Porciluna seufzte erleichtert, als er sich auf die Sitzfläche sinken ließ und seine Füße sein Gewicht nicht länger tragen mußten. Matthias faltete angespannt die Hände im Schoß. Wenn ihn sonst jemand aufsuchte, bedeutete das gewöhnlich, daß ein Dorf nicht mehr genug Weihwasser besaß oder daß die Fey wieder ein paar Tote auf dem Gewissen hatten. Manchmal glaubte er, dieser Krieg endete erst dann, wenn es keine Überlebenden mehr gab.
»Also?« fragte er, die Hände so fest zusammengepreßt, daß seine Finger schmerzten.
»Der Rocaan hat schon wieder darauf bestanden, selbst die Begräbniszeremonie für die geehrten Toten durchzuführen.«
Matthias merkte erst, daß er die Luft angehalten hatte, als er sie jetzt zischend ausstieß.
»Er hat sein eigenes Schwert am Rand des Grabes zurückgelassen, obwohl ich ihn gewarnt habe, daß die Totengräber es stehlen und verkaufen würden, und seitdem redet er nur noch Unsinn.« Porciluna glättete die schütteren Haarsträhnen auf seinem kahl werdenden Kopf. Seine Wangen färbten sich rosa.
»Und was sagt er?« erkundigte sich Matthias.
»Daß er den Überfall der Fey verschuldet habe. Durch seine Sünden.«
Matthias ergriff die Feder und steckte sie in den Halter. Heute würde er wohl nicht mehr weiterarbeiten.
Porciluna packte seinen Arm. »Wie könnt Ihr bloß so ruhig bleiben. Seht Ihr denn nicht, was hier vor sich geht?«
»Ich sehe eine ganze Menge«, gab Matthias zurück. »Und nichts davon bedeutet etwas Gutes.«
Porciluna hatte feuchte Hände. Sein Griff um Matthias’ Arm verstärkte sich. Matthias richtete seinen Blick betont auf die Hand, und Porciluna ließ los. Er wischte sich den Schweiß an seinem Talar ab. »Ich mache mir Sorgen, Matthias. Der Rocaan ist nicht mehr er selbst. Er läßt die Angelegenheiten der Kirche schleifen. Er verbringt viel zuviel Zeit in seiner Zelle. Er hält Beerdigungszeremonien ab, die er besser anderen überlassen sollte, und nun auch das noch.«
»So hat er doch schon seit der Invasion geredet«, widersprach Matthias.
Porciluna schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht so. Er hat über theologische Fragen diskutiert, und wir mußten uns auf der Suche nach Antworten durch diese ganzen Texte wühlen. Aber so wie er sich jetzt benimmt, habe ich das Gefühl, er hat einen Plan. Er plant etwas, das die Fey zum Rückzug veranlassen soll. Etwas … Verrücktes.« Das letzte Wort war so leise, daß Matthias es kaum verstehen konnte.
Übelkeit hob Matthias’ Eingeweide, und er schluckte krampfhaft. Noch eine Last. Eine Last zuviel. Er wollte sich nicht auch noch darum kümmern müssen. »Ihr glaubt, der Rocaan hat den Verstand verloren?«
»Ich erkenne ihn nicht wieder«, klagte Porciluna. Als es klopfte, fuhren die beiden Männer erschrocken hoch und blickten einander an. Wer konnte sie belauscht haben? Dann erinnerte sich Matthias, daß er den Aud gerufen hatte.
»Komm rein«, befahl er.
Die Tür öffnete sich, und der Aud schlurfte mit einer brennenden Kerze in der Hand ins Zimmer. Erst beim Schein der kleinen Flamme bemerkte Matthias, wie dunkel es inzwischen im Raum geworden war. Im Licht seiner Schreibtischlampe konnte er gerade noch Porciluna erkennen. Der Rest des Zimmers lag im Dunkeln.
»Ich dachte, ich hätte angeordnet, daß die Zimmer der Ältesten bei Anbruch der Dunkelheit zu beleuchten sind«, sagte Matthias in scharfem
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