Fey 01: Die Felsenwächter
Ton.
»Verzeiht mir, verehrter Herr. Ich bin normalerweise nicht für die Zimmer zuständig. Euer Diener scheint verschwunden zu sein.«
Wieder einer. Auch das beunruhigte ihn. »Also gut. Ich wünsche, daß die Vorhänge zugezogen werden, hier und in den Gemächern der anderen Ältesten, außerdem sollen Lampen und Kaminfeuer angezündet werden. Und versichere dich, daß jemand sich um den Rocaan kümmert.«
»Wie Ihr befehlt, verehrter Herr.« Der Aud trat an die erste Lampe heran und entzündete sie.
Sofort erhellte sich der Raum; Licht fiel auf das mit Samt bezogene Sofa und die geschnitzten Stühle, die um den mit kleinen Schwertern verzierten Tisch standen. Der Aud schritt von Lampe zu Lampe, bis der ganze Raum in anheimelnde Helligkeit getaucht war. Dann zog er die dicken Vorhänge vor die Fenster und befestigte sie; schloß die Dunkelheit aus und enthüllte statt ihrer die auf den Gobelins abgebildeten Szenen aus dem Leben des Roca.
Matthias und Porciluna sahen ihm schweigend zu. Einmal warf der Aud ihnen über die Schulter einen Blick zu und fuhr dann in seiner Tätigkeit fort, als fände er ihr Benehmen reichlich seltsam. Schließlich kniete er sich vor den Kamin und baute aus Holzscheiten einen kleinen Scheiterhaufen. Außer den leisen Geräuschen, die er dabei verursachte, war es ganz still im Raum.
Matthias war für diese Unterbrechung des Gesprächs dankbar. Er hatte sich in letzter Zeit nicht um den Rocaan und seine Probleme gekümmert, sondern sich seinen Sorgen hinsichtlich der Fey und der Zukunft hingegeben. Dem alten Mann aus dem Weg zu gehen war nicht schwer gewesen; auch er schien sich in Matthias’ Gesellschaft in der letzten Zeit nicht recht wohl zu fühlen, als werfe er ihm seine Entscheidungen während der Invasion vor. Matthias hätte wissen müssen, daß das Problem eines Tages auf ihn zurückfallen würde, denn er war der einzige, dem der Rocaan das Geheimnis des Weihwassers anvertraut hatte. Am Tag der Invasion hatte der Rocaan Matthias zu seinem Nachfolger erkoren. Matthias bezweifelte, daß der Alte jetzt immer noch derartige Gefühle für ihn hegte.
Hinter seinem Rücken fing das Holz zu knacken an, und schwacher Rauchgeruch stieg ihm in die Nase. Er drehte sich um. Der Aud rückte den Kaminrost zurecht. Dann stand er auf, wischte sich die Hände an seinem Gewand ab und neigte den Kopf. »Noch etwas, verehrter Herr?« fragte er.
»Nicht in diesem Zimmer«, antwortete Matthias in der Hoffnung, daß der Aud den diskreten Hinweis auf die übrigen Räume verstehen würde.
Der Aud nickte noch einmal, dann ging er.
Als die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, sagte Porciluna: »Selbst die kleinen Dinge scheinen aus den Fugen zu geraten.«
»Ach ja«, stimmte Matthias zu. »Nur ein weiteres Anzeichen, nehme ich an. Obwohl …«, er wählte seine Worte mit Bedacht, »… das noch nicht bedeuten muß, daß der Rocaan wirklich verrückt ist.«
»Er ist nicht mehr in der Lage, klar zu denken«, sagte Porciluna. »Er kümmert sich um die falschen Dinge.«
»Der Rocaan ist ein Mann des Glaubens.« Matthias streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. Der hölzerne Stuhl knarrte unter seinem Gewicht. »Es wird immer Zeiten geben, in denen er nicht logisch handelt, sondern jener zarten, leisen Stimme in seinem Inneren folgt.«
»Wir alle sind Männer des Glaubens«, widersprach Porciluna.
»Tatsächlich?« Matthias sah seinem Gegenüber gerade ins Gesicht. Porcilunas Züge wirkten weich, als verwischte das Kerzenlicht alle Härten und Kanten.
Der andere straffte sich und legte die Hände auf die Knie. »Wären wir das nicht, wären wir nicht Älteste geworden.«
Matthias lächelte. »Nun kommt schon, Porciluna. Spart Euch das fromme Gerede für die Gläubigen auf. Ihr wißt genausogut wie ich, daß viele von uns hier sind, weil sie nicht wissen, wo sie sonst hinsollen, und andere, weil sie hier, wenn sie ehrgeizig sind, ein bequemes Leben führen können.«
»Falls Ihr mir unterstellen wollt, daß auch ich aus solch niedrigen Beweggründen hier bin …«
»Ich will Euch gar nichts unterstellen«, beschwichtigte Matthias. »Aber wenn wir schon über die Zukunft des Tabernakels nachdenken müssen, sollten wir ehrlich zueinander sein. Ich habe Euch beobachtet, Porciluna, und ich kann voraussagen, was Ihr tun werdet. Würdet auch Ihr auf eine leise Stimme in Eurem Inneren hören, könnte ich das nicht. Ihr seid ein ehrgeiziger Mann, der gerne angenehm lebt. Ob Ihr an den Roca
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