Fey 01: Die Felsenwächter
jung, der jüngste unter den Ältesten, sein Gesicht noch faltenlos und straff. »Und wonach soll ich Ausschau halten?«
»Das werde ich Euch erst sagen, wenn Ihr zurückgekehrt seid, um Euch nicht zu beeinflussen. Vielleicht wird das, was Ihr sehen sollt, schon verschwunden sein, also macht Euch keine Sorgen, wenn Euch gar nichts auffällt.«
Matthias runzelte die Stirn und faltete die Hände vor der Brust. Der schwarze Talar eines Ältesten war ebenfalls aus Samt gefertigt. Die Autoritäten der Kirche schienen der Ansicht zu sein, daß ihre hochrangigen Würdenträger so bequem wie möglich leben sollten. Immer wenn der Rocaan versucht war, etwas an diesem Umstand zu ändern, mußte er sich eingestehen, daß auch er dann sein weiches Bett, sein morgendliches Feuer und seine Süßigkeiten aufgeben müßte.
Matthias machte nicht den Eindruck, als wollte er der Aufforderung des Rocaan folgen.
»Noch etwas«, fügte der Rocaan hinzu, hauptsächlich, um Matthias etwas auf Trab zu bringen. »Macht kein Licht in diesem Raum. Ich fürchte, Ihr werdet im Dunkeln herumstolpern müssen.«
»Wie Ihr wollt.« Matthias beugte den Kopf und verließ den Raum langsam und rückwärts gewandt.
Erst als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, gestattete sich der Rocaan ein leises Stöhnen. Der Schmerz ließ langsam nach, war aber während seiner Unterhaltung mit Matthias beinahe unerträglich gewesen. Nur noch die Zehen schmerzten. Er hob einen Fuß und massierte ihn. Zufrieden stellte er fest, daß die Haut nicht mehr blau gefärbt war, sondern ein gesundes Rot angenommen hatte. Keiner der Zehen sah unnatürlich weiß aus, wie er befürchtet hatte. Er hatte schon zu viele Daniten gesehen, die ihre Gliedmaßen durch diese winterliche Farbe verloren hatten.
Er biß erneut in sein Brötchen und trank etwas von der Milch. Obwohl er jetzt keine Schmerzen mehr hatte, fühlte er sich unwohl. Er hatte sein Morgenritual noch nicht abgeschlossen. Aber um die Wahrheit zu sagen, spürte er schon seit langer Zeit keinen inneren Frieden mehr. Diese Unterbrechung hatte ihn lediglich ein wenig mehr beunruhigt.
Er legte den Kopf in den Nacken und vernahm nach einer Weile Schritte auf dem Korridor. Sie klangen jetzt dringlicher als vorher. Obwohl er mit dem Klopfen an der Tür gerechnet hatte, schreckte er doch auf. Also war es keine Täuschung. Er hatte Schiffe gesehen.
»Kommt herein«, rief er.
Matthias stand schon halb im Raum. Er schloß die Tür fest hinter sich und eilte dann die wenigen Treppenstufen herunter. »Schiffe«, sagte er. »Ich habe Schiffe gesehen. Dutzende. Soll ich den Obersten Hafenwächter holen lassen?«
Der Rocaan rieb sich über den Nasenrücken. Der Schmerz in den Füßen war vergangen, dafür hatten jetzt Kopfschmerzen über den Augen eingesetzt. »Sagt mir erst, was Ihr gesehen habt.«
»In der Dunkelheit dauerte es einen Moment«, erwiderte Matthias. »Und der Boden da drin ist verdammt naß.«
»Das kommt vom Regen«, sagte der Rocaan müde.
»Dann sah ich Masten, und als ich genauer hinblickte, erkannte ich Schiffe. Keine Schiffe aus Nye. Schiffe wie diese habe ich noch nie gesehen. Alles war ruhig, aber ich hörte Stimmengemurmel.«
»Was haben sie gesagt?«
»Ich konnte es nicht verstehen.«
»Ich ebensowenig.« Der Rocaan ließ die Hand sinken. Matthias’ Gesicht war gerötet, seine Augen funkelten vor Aufregung. Der Rocaan seufzte. »Ich glaube, Ihr solltet zum König gehen.«
»Heiliger Herr?«
Der Rocaan spürte, wie ihn eine leichte Gereiztheit überkam. Mußte er denn alles erklären? Matthias war intelligent. Er hätte das Problem längst erkennen müssen. »Es sind unbekannte Schiffe, Matthias«, sagte der Rocaan. »Nicht angekündigt. Ich glaube, wir haben ungeladene Gäste.«
Matthias schüttelte den Kopf. »Aber das ist unmöglich. Ohne unsere Unterstützung kann niemand die Blaue Insel anlaufen.«
»Irgend jemand muß es früher schon einmal getan haben«, sagte der Rocaan. »Sonst wären wir nicht hier.«
Matthias trat einen Schritt zurück und sank dann in den Lehnstuhl neben dem Bett, als müßte er sich abstützen. »Warum sollte sich jemand ausgerechnet für die Blaue Insel interessieren?«
Er hatte die Frage leise gestellt, fast rhetorisch, trotzdem entschloß sich der Rocaan zu einer Antwort. »Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Es wäre Dummheit, uns einfach zu übersehen.«
Matthias sah den Rocaan mit einem durchdringenden Blick an. »Ihr wißt, um wen es
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