Fey 01: Die Felsenwächter
der Anstrengung schließlich nicht mehr gewachsen gewesen und hatte den Dienst versagt. Die Hüter waren gezwungen, sich auf die alten Karten zu verlassen. Doch dann hatte einer der Seefahrer einige zwar verängstigte, aber gesellige Meereswesen ausfindig gemacht, die sich selbst als Ze bezeichneten, und diese Wesen schienen mit den hiesigen Strömungen vertraut zu sein. Die Navigatoren hatten die Worte der Ze an die anderen Matrosen weitergegeben, und so hatte die Flotte mit Hilfe der Ze, der Seefahrer und der alten Karten die Felsenwächter ohne eine einzige Schramme überwunden.
Auch jetzt noch lagen die Seefahrer über die Reling gebeugt, körperlich anwesend, aber geistig immer noch in den Ze gefangen. Die Steuermänner standen neben ihnen und versuchten, sie wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Rugar rieb sich die roten, aufgesprungenen Hände. Er benötigte dringend weitere Informationen.
Er ging zu dem Steuermann Kapad hinüber, der ihm am nächsten stand. Kapad war schon zur See gefahren, als Rugar noch bei der Infanterie diente. Kapads Augen waren eingefallen, seine Haut war ledrig, und er war geistig immer noch mit zwei Seefahrern verbunden. Er hatte silbrig ergraute Brauen, aber sein Schopf war tiefschwarz. In seiner vernarbten rechten Hand hielt er den Ärmel eines Seefahrers fest.
»Weck ihn noch nicht«, sagte Rugar. »Ich habe eine Frage.«
Kapad blinzelte erst, nickte dann aber. Obwohl er wußte, daß ein Steuermann die Information erst an den Seefahrer weitergab, mit dem er zusammenarbeitete, zerrte die Langsamkeit seiner Reaktion an Rugars Nerven.
»Ich muß wissen, durch welchen Zauber der Hafen beschützt wird.« Rugar wischte sich mit dem Handrücken das Regenwasser vom Gesicht. »Um genau zu sein, wüßte ich gerne über alle Zaubereien Bescheid, die die Fische beobachtet haben.«
Wieder blinzelte Kapad und nickte dann. Einen Moment lang stand er reglos, dann gab er bekannt: »Er fragt an.«
»Vielen Dank.« Rugar wartete, die Hände auf dem Rücken. Obwohl die Nye nichts von Zauberkräften der Inselbewohner berichtet hatten, lag dies vielleicht nur daran, daß sie nicht wußten, wo sie danach Ausschau halten sollten. Rugar wollte jegliche Überraschung vermeiden. Mit der Ausnahme der Fey war so gut wie kein der Magie kundiges Volk bekannt, auch die Fey selbst hatten bisher nur eine Handvoll Völker getroffen, deren Zauberkräfte jedoch recht unbedeutend gewesen waren. Trotzdem hielt Rugar es für sicherer, alles zu überprüfen.
Der Seefahrer neben Kapad rührte sich nicht. Auf der anderen Seite des Decks war ein anderer Seefahrer aufgestanden und taumelte jetzt mit vor das Gesicht geschlagener Hand rückwärts. Schließlich brach er auf dem mit kleinen Pfützen übersäten Deck zusammen. Wasser spritzte auf. Seine dunkle Haut war unnatürlich bleich, die Gesichtszüge völlig eingesunken. Der Steuermann, der ihn aufgeweckt hatte, nahm seine Hände und redete mit leiser Stimme auf ihn ein. Es kam nur selten vor, daß Seefahrer so lange im Einsatz waren. Seit Mitternacht hatten sie über der Reling gelehnt. Normalerweise arbeiteten sie im Zweierteam, verließen während der Reise ein Wesen und begaben sich in ein anderes.
Aber die Steuerleute waren noch niemals zuvor einem Ze begegnet und hatten die Seefahrer darum gebeten, so lange bei den Wesen zu bleiben, bis die Flotte in Jahn eingelaufen war.
Der Steuermann runzelte die Stirn und lehnte sich an die Reling. »Herr?« sagte er langsam und sprach dann jedes Wort so langsam aus, als lausche er beim Sprechen jemand anderem. »Die Ze sagen, sie wüßten nichts von Zauberkünsten.«
Diese Antwort hatte Rugar erhofft, aber er wollte ganz sichergehen. »Überhaupt keine?«
»Sie konnten die Bilder, die wir ihnen sandten, nicht verstehen. Sie haben die anderen gefragt, eine Seelöwin und ihren Sohn, einige Seeotter, vorbeiziehende Fische, aber keiner hat jemals so etwas wie Magie erlebt. Hätte ich es ihnen nicht erklärt, wäre ihnen die ganze Sache sowieso unmöglich vorgekommen.«
Rugar lächelte. Also hatten ihn die Nye nicht belogen. Er blickte zum Palast hinüber, der aus dieser Entfernung blaß und unwirklich aussah. Heute abend würde er im höchsten Turm speisen, mit herrlichem Blick über das Meer. »Danke«, sagte er. Er mußte noch viel erledigen, bevor er sich zu dieser Mahlzeit niedersetzen konnte.
Er lehnte sich über die Reling und betrachtete die nördliche Seite des Hafens. Die Docks, an denen alle Schiffstypen vom
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