Fey 01: Die Felsenwächter
Stallungen saßen die Katzen und putzten sich nach ihrer morgendlichen Milchration. Einer der Stallburschen hatte das Bein einer Stute angehoben und untersuchte den Huf im hellen Sonnenlicht. Die Pflastersteine glänzten immer noch feucht, waren mit Schlamm und den Abdrücken vieler Schuhe bedeckt. Nicht unbedingt der beste Boden für eine Fechtstunde. Nicholas sehnte sich nach einer Herausforderung, die seine Fähigkeiten erweiterte.
Er kam zur Unterkunft des Fechtmeisters, am Rande des Dienstbotentrakts. Nicholas klopfte an die Tür. Der kurze Ton übertönte die frühmorgendliche Geschäftigkeit des Palastes. Die Tür ging auf, und ein verschlafener, älter als sonst aussehender Stephan stand vor ihm.
»Die Sonne ist aufgegangen«, sagte Nicholas. »Ich dachte, wir vergeuden am besten keine Zeit mehr.«
»Immer diese Hitzköpfe«, erwiderte Stephan. Er kratzte sein zerzaustes, ergrauendes Haar und strich sich dann über die silbrigen Stoppeln am Kinn. »Ich bin gleich draußen.«
Ohne Nicholas hereinzubitten, schloß er die Tür.
Nicholas schritt ungeduldig vor der Hütte auf und ab und starrte dabei in den Himmel, als fürchtete er, die Sonne könne im nächsten Augenblick wieder verschwinden. Aber der Himmel strahlte in ungetrübtem Blau, keine einzige Wolke war zu sehen. Wenn nicht die Pfützen, der Schlamm und die nassen Steine gewesen wären, hätte Nicholas selbst nicht geglaubt, daß die Blaue Insel mitten in der Trockenzeit beinahe vom Regen überflutet worden wäre.
Die Rufe draußen auf der Straße wurden immer lauter, und Nicholas glaubte, die Schmerzensschreie einer Frau zu hören. Er runzelte die Stirn und fixierte die hohe Steinmauer, als könnte er hindurchsehen. Manchmal waren die Geräusche zu laut, als wären die Bauern mühelos imstande, bis ins Innere des Palastes vorzudringen. Nicholas war mit den Geschichten vom Bauernaufstand aufgewachsen, Geschichten, die von jenem Tag erzählten, als die Bauern diese Mauer erstürmt hatten und nur die schnelle Reaktion seines Ururgroßvaters und das Ölfaß des Küchenmeisters den Palast vor der Eroberung bewahrt hatten. Als kleiner Junge hatte Nicholas diesen Kampf häufig allein nachgespielt und dabei vom flachen Küchendach aus Wasserbecher zur Straßenseite der Mauer hin ausgeleert. Ein Diener, der bemerkte, wie gefährlich nahe Nicholas der neu eingezogenen Decke gekommen war, hatte seinem Spiel schließlich ein Ende bereitet.
Jetzt hörte Nicholas das Stampfen von Pferdehufen und trat von Stephans Tür zurück, um einen freien Blick auf das hölzerne Nebentor zu bekommen. Die Wachen gaben vom Turm aus Zeichen, und die Männer unten schlossen sich zu Zweiertrupps zusammen. Sie machten sich daran, an den Seilen zu ziehen, um das Tor zu öffnen. Zwei Pferde, auf denen Daniten mit rot verzierten Gewändern saßen, die sie als Angehörige des Tabernakels auswiesen, ritten in den Hof. Die Männer ließen das Tor so eilig hinter ihnen herab, als hätte sie der gehetzte Gesichtsausdruck der Daniten angesteckt.
»Wir müssen sofort den König sehen«, sagte der rundlichere der beiden. Seine Stimme hallte durch den ganzen Hof.
Nicholas rannte los. Die Verabredung mit Stephan hatte er vergessen. Einer der Wachtposten sprach jetzt in gedämpftem Ton mit den Daniten. Ihre Pferde waren schweißüberströmt, und eines der Tiere scheute, als Nicholas sich näherte. Der Danite versuchte, im Sattel zu bleiben, bis schließlich ein Wachtposten die Zügel des Pferdes ergriff und es beruhigte.
»Aus welchem Grund wollt ihr den König sehen?« fragte Nicholas.
Der Danite warf ihm einen Blick zu und verbeugte sich dann, so gut er das eben auf einem Pferd konnte. »Wir kommen vom Tabernakel, Hoheit. Der Rocaan hat am Morgen Schiffe im Hafen gesehen, fremde Schiffe, die während des Regens angekommen sind. Die ganze Stadt ist voller Fremder, und als wir herritten, haben wir Schreie in den Straßen gehört. Nicht weit von hier rannte eine Frau mit zerfetzter Kleidung an uns vorbei und schrie, sie habe den Teufel gesehen.« Abrupt brach der Danite ab. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er sah ebenso erschöpft aus wie sein Pferd. Der Tabernakel befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses.
»Laßt uns sofort zu meinem Vater gehen«, sagte Nicholas. Er richtete sich so gerade auf, wie er konnte, und ahmte den geschäftsmäßigen Tonfall des Königs nach. »Wache! Schickt einen Boten voraus. Sagt meinem Vater, wir erwarten ihn in seinem Audienzraum.
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