Fey 01: Die Felsenwächter
insbesondere für die Familienmitglieder des Schwarzen Königs. »Ich kann dein Leben jetzt nicht aufs Spiel setzen.«
»Du hast keine Wahl.« Jewel ließ die Hand gegen ihr Schwert fallen. »Ich bin gekommen, um zu kämpfen.«
»Du wirst an meiner Seite kämpfen und mir helfen, die Schlacht zu Sehen.«
»Nein«, erwiderte Jewel. »Du brauchst mich nicht. Dein Zorn über die Taktik meines Vaters beeinflußt deinen gesunden Menschenverstand. Denk einmal eine Minute lang ruhig nach. Er kann Schlachten besser voraussehen als jeder von uns. Sein Geist ist so umfassend, daß er Schattenlande aufbauen kann, die groß genug sind, um alle unsere Schiffe zu verbergen.
Glaubst du wirklich, er hätte uns hierhergebracht, wenn seine Vision falsch wäre? Oder glaubst du, er führte uns absichtlich in eine Niederlage?«
Shima wandte den Blick ab. Etwa dreißig Soldaten waren hinter der Mauer verschwunden. Die übriggebliebenen brachten den Rammbock vor dem Tor in Position. »Ich glaube«, antwortete Shima schließlich, »daß der Eroberungsdrang deines Vaters seine Visionen trübt.«
Schockiert hielt Jewel die Luft an. Noch nie zuvor hatte es jemand gewagt, Kritik an ihrem Vater zu üben.
Shima nahm eilig Jewels Hand. Ihr Griff war fest, die Haut rauh und vernarbt. Sie beugte sich vor, so daß niemand außer Jewel ihre Worte hören konnte. »Seit wir Nye verlassen haben, habe ich in jeder Nacht meinen eigenen Körper gesehen, zerschlagen und blutig an den Ufern dieses verdammten Flusses. Und ich war nicht die einzige. Hunderte von uns Fey wurden getötet. Diese Leute sehen nicht bedrohlich aus, aber meine Vision sagt mir, daß sie uns alle töten werden.«
Jewel erschauerte. Sie erinnerte sich an ihre eigene Vision, an den heftigen Schmerz, an den Mann, der nicht den Fey angehörte, an seine Besorgnis über ihren Zustand. Starb sie in dieser Vision? Sie wußte es nicht.
»Wenn das wahr wäre, hätte mein Vater uns nicht hierhergeführt«, sagte Jewel. »Fey sterben im Kampf. Das geschieht in jeder Schlacht.«
»Nicht in diesem Ausmaß. Und nicht auf so grauenhafte Weise. Es war, als verfügten manche von ihnen über dieselben Fähigkeiten wie unsere Fußsoldaten.«
Jewel schluckte. Von allen Fey flößten ihr die Fußtruppen mit ihrer Liebe zur Folter und der Bereitschaft, ihre bloßen Hände als Mordwerkzeuge zu benutzen, den tiefsten Abscheu ein. Jedes Opfer eines Fußsoldaten starb nicht durch einen direkten Angriff, sondern durch Verstümmelung und Blutverlust. »Es hat keinen Sinn, jetzt mit mir darüber zu diskutieren«, sagte Jewel. »Wir sind hier. Wir sind verantwortlich.«
»Ich sage es dir, weil ich nicht glaube, daß ich führen kann, wenn diese Vision meine Sicht trübt.«
Jewel nickte. Jetzt hatte sie verstanden. Shima beging keine Fehler, weil sie wütend war, sondern weil sie Angst hatte.
»Ich stehe dir zur Seite«, sagte Jewel.
Shima blickte sie einen Augenblick an, und Jewel glaubte, etwas wie Furcht im Gesicht ihrer Befehlshaberin zu erkennen. Dieser kurze Blick ließ Jewel tiefer erschauern als jede verbale Bestätigung. Befehlshaber hatten niemals Angst. Sie waren voller Selbstvertrauen und Stärke.
Nicht unerfahren, so wie Jewel.
»Wir sollten dieses Tor knacken«, sagte Shima. In ihrem Ton schwang die unausgesprochene Frage mit, ob diese Anordnung mit Jewels Visionen übereinstimme.
»Es liegt neben den Ställen«, sagte Jewel. »Wir können die Pferde losmachen und auf diese Weise verhindern, daß zu viele von ihnen flüchten oder daß reitende Boten entkommen.«
Sie wußten beide, daß eine perfekte Abschirmung nicht möglich war. Wenn erst der Rammbock gegen das Tor donnerte, mußte jeder Befehlshaber im Palast begreifen, was vor sich ging, und seine Leute durch die anderen Tore in den Kampf schicken.
Dabei wußten die Fey nicht einmal, ob sich überhaupt Befehlshaber innerhalb der Palastmauern befanden. Zum ersten Mal verstand Jewel, warum Shima verunsichert war.
Jewel überflog mit einem Blick, was vor sich ging. Die Marodeure hatten den Laden verlassen. Die Tür war geschlossen. Die Staubwolken hatten sich gelegt, nur noch eine kleine Streitmacht war übriggeblieben. Einige Soldaten standen angriffsbereit neben dem Rammbock. Sie warteten nur auf ein Zeichen, um ihn anzuheben und in Position zu bringen.
Das Hochheben war besonders schwierig, denn bei dem Kriegsgerät handelte es sich um eine alte Eiche, von deren dickem Stamm Blätter und Äste entfernt worden waren. Die Hüter
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