Fey 01: Die Felsenwächter
Robe vor seiner Brust zusammen und eilte weiter, an den fest verriegelten Türen vorbei, den Elfenbeinbüsten früherer Rocaans, vorbei an den goldgerahmten Porträts an den Wänden des Korridors. Einer der Auds, ein kleingewachsener, glatzköpfiger Mann, den er nicht kannte, packte ihn am Arm, obwohl dies ein Verstoß gegen die Etikette war.
»Bitte, verehrter Herr, wir brauchen hier dringend Palastwachen. Nur sie können uns retten.«
Der Griff des Mannes war fest und zwang Matthias zum Stehenbleiben. Er blickte auf die Hand, die seinen Arm umfaßte. Entsprechend der Verachtung der Auds für jeden Schmuck waren die dicken plumpen Finger mit ihren abgebissenen Nägeln unberingt. Langsam richtete Matthias seinen Blick auf das Gesicht des Mannes.
»Nur eines kann uns retten«, erwiderte Matthias langsam. »Der Heiligste, der unsere Gebete an Gott weitergibt.«
Matthias entwand sich dem Griff des Auds und ging weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. Immer mehr Diener rannten an ihm vorbei, beladen mit Stecken und Reisig zum Feuermachen. Ein großer Mann in der weißen Kleidung des Küchenmeisters schleppte ein großes sakrales Schwert, das er von der Tür der Kapelle der Diener gerissen hatten. Matthias unterdrückte eine Rüge. Falls der Mann diesen Tag überlebte, konnte er ihn immer noch dafür bestrafen.
Aber wahrscheinlich, da war sich Matthias ziemlich sicher, würde das niemandem hier gelingen.
Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Noch niemals hatte er eine solche Schlacht gesehen. Es hatte begonnen, kurz nachdem er die Daniten zum König gesandt hatte. In der ganzen Stadt wurden die Leute von den Fey mit dem Schwert abgeschlachtet. Dann war dieser letzte Trupp Fey angekommen, Kämpfer, die einem Mann mit bloßen Händen die Haut abziehen konnten. Matthias hatte vom Fenster des Rocaan drei Menschen auf diese Art sterben sehen, bevor er in seinem Innersten begriff, daß Schmerz und Leiden der Gequälten real waren, daß weder der Heiligste noch der Roca selbst sich vom Himmel herabschwingen würden, um die aufrechten Gläubigen zu beschützen.
Dennoch hatten sie den Tabernakel bis jetzt verschont.
Aber wie lange noch?
Endlich hatte er die Krümmung des Korridors erreicht, die den neuen Flügel des Tabernakels mit der ehemaligen Kirche verband. Hier waren die Steine alt und porös, die Teppiche verschossen, und die Beleuchtung bestand aus einfachen Kerzen in winzigen goldenen Kerzenhaltern. Matthias ergriff eine der Kerzen und steckte dann einen Schlüssel in das Schloß einer kleinen Holztür.
Langsam drehte er den Schlüssel, das Schloß beschwerte sich ächzend über die ungewohnte Benutzung. Einen Augenblick lang fürchtete Matthias, es würde sich überhaupt nicht mehr öffnen lassen, aber dann spürte er, wie der Mechanismus nachgab. Er stieß die Tür auf und hustete, als aufwirbelnde Staubflocken ihm entgegenwehten.
Er warf einen Blick über die Schulter. Hinter ihm im Korridor war niemand zu sehen. Er befestigte zuerst die Kerze, trat dann ein und schloß die Tür hinter sich.
Die Kerze sorgte nur für spärliches Licht. Es beleuchtete seine Hand, seinen Arm und einen Bruchteil der Wand. Matthias konnte die Treppen nicht erkennen, nicht sehen, ob sie in all den Jahren, in denen sich keine Menschenseele hierher verirrt hatte, morsch geworden war. Die Luft war abgestanden und staubig. Vorsichtig machte er einen Schritt nach vorne und tastete mit dem Zeh in seinem Lederschuh nach dem Rand der Stufe. Als er ihn gefunden hatte, wagte er einen zögernden Schritt in die Dunkelheit.
Etwas verfing sich in seinem Haar, und er unterdrückte einen Schrei, während er mit seiner Linken so lange umhertastete, bis sich seine Finger in den klebrigen Strängen eines Spinnennetzes verfingen. Er verzog das Gesicht, stieg aber weiter hinunter. Vorsichtshalber streckte er die Hand vor dem Gesicht aus, damit ihn die schmierige Spinnwebe nicht noch einmal berührte.
Beim Gesegneten Schwerte, er hätte sich heute morgen nicht träumen lassen, daß er diese Treppe hier benutzen würde. Er hatte vielmehr damit gerechnet, seiner täglichen Routine nachzugehen, die Verhandlungen mit dem Rocaan über das Land südlich der Killeny-Brücke für die Auds abzuschließen, anschließend mit Nicholas, dem Königssohn, über dessen Mangel an Glauben zu sprechen und schließlich in der Gesellschaft des Rocaan sein Abendbrot einzunehmen. Matthias hatte nicht im geringsten damit gerechnet, daß die Welt, die ihm vertraut war,
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