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Fey 01: Die Felsenwächter

Fey 01: Die Felsenwächter

Titel: Fey 01: Die Felsenwächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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bis zum Abend nicht mehr existierte.
    Niemand hätte das voraussehen können, und selbst wenn, so wäre keiner in der Lage gewesen, sich darauf vorzubereiten. Es gab keine Soldaten, nur ein paar Wachen, die mit jahrhundertealten Geschichten über die Bauernkriege gedrillt wurden. Das Meer und die Felsen hatten die Blaue Insel beschützt. Bis jetzt.
    Je tiefer Matthias unter den Tabernakel vordrang, desto kälter und feuchter wurde die Luft. Irgendwo vor ihm tropfte Wasser auf den Boden. Von dort stieg ein sumpfiger Geruch nach Verwesung auf, und er wollte lieber nicht daran denken, welch seltsame Kreaturen er auf seinem Weg antreffen mochte.
    Die Stufen wanden sich in die Dunkelheit. Matthias stützte sich auf das morsche Geländer und zählte die Treppenabsätze: zwei, drei, vier. Auf dem fünften blieb er stehen und hielt die Kerze in der vergeblichen Hoffnung vor sich, das Ende der Treppe von hier aus erkennen zu können.
    Er erstarrte. Der Rand des Treppenabsatzes war weggebrochen, der Rest der Stufen verschwunden. Diese unterirdischen Gänge waren also nicht die Lösung des Problems. Er hatte gehofft, den Rocaan hier unten verstecken zu können. Aber nicht einmal ein junger Mann hätte den Sprung in den Abgrund überlebt. Er schluckte. Sein Kehle war wie ausgetrocknet. Erst jetzt begriff er, welches Entsetzen ihn übermannte, sobald er allein war. Er umklammerte das Schwert an seinem Hals mehr aus Gewohnheit als in dem Wunsch, den Heiligsten anzurufen. Er mußte die Treppe wieder hochsteigen und eine andere Lösung finden.
    Aber er wollte nicht zurück in das Chaos. Er wollte aufwachen und feststellen, daß alles nur ein Alptraum gewesen war, daß er wohlig warm in seinem Bett lag, während der Regen fiel und dieser ungewöhnliche Sommer weiterging. Er wollte diesen Tag noch einmal von neuem beginnen, ohne das Höllenloch des Rocaan zu betreten, ohne die geisterhaften Mastbäume auf dem Cardidas zu entdecken, ohne das panische Entsetzen zu spüren, das sich langsam in seinem Magen ausbreitete.
    Das Tropfen des Wassers hinter ihm wurde immer schwächer. Die schmale Kerze war fast heruntergebrannt, das geschmolzene Wachs floß warm über seine Finger. Da er sich allein in der Dunkelheit fürchtete, ging er langsam, aber seine Einbildungskraft trieb ihn immer weiter voran. Sein Verstand sagte ihm, daß er alles genauso vorfinden würde, wie er es verlassen hatte, wenn er oben angekommen war: Auds und Diener in Panik, die Daniten in Erwartung des Angriffs, Würdenträger, die die Tür zu den Räumen des Rocaan blockierten. Aber der Teil seines Gehirns, der seine Träume und Ängste beherbergte, konnte die Bilder des Todes, die er heute morgen gesehen hatte, nicht vergessen.
    Er wollte nicht auf diese Art sterben.
    Er wollte nicht wissen, daß es kein Leben über den Tod hinaus gab, daß der Rocaanismus nichts anderes war als die Vision eines verrückten, charismatischen Mannes, dem es gelungen war, vor Hunderten von Jahren alle Gläubigen dieser Insel unter seiner Schirmherrschaft zu vereinigen. Matthias blieb stehen und rieb sich mit der freien Hand über das Gesicht. In Zeiten der Not wandten sich wahre Gläubige an ihren Gott, während ihm selbst, als Gelehrter, Religionsführer und Verstandesmensch, nichts blieb, dem er sich zuwenden konnte.
    Obwohl er versucht hatte zu glauben. Seit er als Zweitgeborener in einer Familie von Landbesitzern zur Welt gekommen war, versuchte er zu glauben. Er war der Sohn, der immer im Schatten seines Bruders stehen würde, es sei denn, sein eigener Schatten im Tabernakel würde so groß werden, daß niemand, nicht einmal sein Bruder, ihn noch übersehen konnte. Der Moralist in ihm hatte es immer für falsch gehalten, daß er die Kirche benutzte, um sein persönliches Ansehen zu vergrößern. Dieser Teil in ihm protestierte nun am lautesten und warf ihm vor, daß er sich nur deswegen in der Klemme befand, weil er an der Macht der Geschriebenen und Ungeschriebenen Worte gezweifelt hatte.
    Matthias stieg weiter hinauf, vier Stufen auf einmal nehmend, und hielt sich am morschen Geländer fest. Das Kerzenlicht flackerte. Nur noch einen Augenblick, und es würde erlöschen. Seine Furcht vor der Dunkelheit war schließlich stärker als seine Furcht vor der wirklichen Welt, und er stieß die Tür mit einer Kraft auf, die ihn selbst überraschte …
    … bis sich die Tür schon nach wenigen Zentimetern nicht mehr weiter öffnen ließ. Während Matthias’ Kerze erlosch, drang durch den

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