Fey 01: Die Felsenwächter
reflektierende Augen sein können.
Sie atmete stoßweise, und ihr Herz klopfte heftig. Diese Flaschen! Darin hielten sie den Tod versteckt. Und er hatte ihren Wandel gesehen. Dieser Dummkopf. Sie mußte sich sein Gesicht merken und ihn umbringen, sobald sich eine Gelegenheit dazu bot.
Das schmatzende Geräusch kam näher. Vorsichtig spähte sie zwischen den halbgeschlossenen Lidern hindurch. Er war neben den Stufen stehengeblieben. Seine Fußnägel waren lang und gelb, rollten sich nach oben und waren mit Schmutz bespritzt; der Spann war mit blonden gelockten Härchen bedeckt. Sie war froh, daß sie zu weit weg war, um etwas riechen zu können. Der ausgeprägte Geruchssinn der Katzen hatte seine Vor- und Nachteile.
Der Fischgestank erinnerte sie an ihren Hunger. Sie wollte, daß der Kerl ging, damit sie endlich fressen konnte. Dann würde sie jemand finden, der ihr half. Sie würde diesen lästigen Inselbewohner schon wiederfinden und töten.
Er stampfte jetzt weiter, und sie verharrte reglos, bis sie ihn nicht mehr hören konnte. Er hinterließ tiefe Fußspuren, die sich in dem nassen Boden sofort mit Wasser füllten. Ihre Pfoten waren kalt, und sie haßte die Feuchtigkeit auf ihrem Fell.
Die Schreie und Rufe waren wieder angeschwollen. Sie hörte Stimmen in einer Sprache, die sie nicht verstand. Sie spähte durch die Ritzen der Treppe und sah mehrere Schwarzgekleidete zusammenstehen, die in ihren Händen Flaschen hielten, als seien es Schwerter. Ihr Mann befand sich nicht darunter. Sie unterhielten sich einen Augenblick und machten sich dann in verschiedene Richtungen davon.
Sie setzte sich auf die Hinterläufe, und ein Gefühl, dem sie zu vertrauen gelernt hatte, stieg langsam in ihr auf. Caseo hatte gedacht, das Problem läge auf der anderen Seite des Flusses: der Gestank, die Toten. Er hatte beschlossen, Rugar aufzusuchen und ihn vor einer Überquerung des Flusses zu warnen. Vielleicht gelang es Caseo, Rugar von den Schwarzgekleideten fernzuhalten.
Aber hier und jetzt gab es ein weiteres Problem. Hier, auf der Seite der Lagerhallen. Caseo würde nicht rechtzeitig zurückkommen. Die Schwarzgekleideten lagen auf der Lauer und warteten nur auf den richtigen Moment, um anzugreifen.
Nervös leckte Solanda ihr rechtes Bein, in dessen weichem Fell sich ihre rauhe Zunge verfing. Das Waschen beruhigte sie so sehr, daß sie es gelegentlich in ihrer menschlichen Gestalt vermißte.
Sie würde hier warten, bis die Schwarzgekleideten weggegangen waren. Dann mußte sie so schnell wie möglich in die Stadt und versuchen, daß sie jemanden fand, vielleicht Caseo oder Rugar, egal wen, der alle warnte, der allen die Botschaft überbrachte, daß die Schwarzgekleideten angreifen würden, daß sie im Hinterhalt lagen und zum Töten bereit waren.
Sie war jetzt mit ihrem Bein fertig, machte sich daran, die Pfoten vom Schmutz zu säubern, und konnte dabei ein wohliges Schnurren nicht unterdrücken.
Also erfüllte die Reise doch ihren Zweck. Solanda würde nicht nutzlos sein wie im Feldzug gegen die Nye. Die langen Stunden, in denen ihr Fell langsam durchnäßt worden war, die katzengroßen Ratten, die ihr beim Aufwachen ins Gesicht gestarrt hatten, all das war nicht umsonst gewesen. Sie würde erneut den Beweis antreten, daß die Gestaltwandler allen anderen Fey überlegen waren.
Sie war sehr zufrieden, daß sich ihr diese Gelegenheit jetzt endlich bot.
18
Langsam wurde sein Arm müde. Nicholas stand auf halber Höhe der Küchenstufen, von wo aus er auf die hochgewachsenen, schlanken Eindringlinge, die ihn zu überwältigen drohten, einstieß und -hieb. Mann an Mann standen die Kämpfenden auf den Stufen bis in die Küche hinunter und verteilten sich weiter auf den Anrichteraum und die dahinterliegenden Räume. Als er das letzte Mal Zeit für einen raschen Blick auf das Geschehen gefunden hatte, drosch das Küchenpersonal mit allem, was sich irgendwie als Waffe gebrauchen ließ, auf die Fey ein. Frauen hielten Stöcke ins Feuer und machten Fackeln daraus. Aber immer noch riß der Strom der Fey, der durch die Tür neben den Herden in den Raum quoll, nicht ab. Die Luft war stickig, es roch nach Angst.
Nicholas hatte alles vergessen, was ihm Stephan über Anmut, Raffinesse und andere Feinheiten des Fechtkampfs beigebracht hatte. Nicholas’ ganzes Schwert war zur Waffe geworden. Mit der flachen Seite der Klinge hatte er einem Mann ins Gesicht geschlagen, mit der scharfen Kante hatte er einer Frau den Daumen
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