Fey 01: Die Felsenwächter
Schreie und Rufe, der Geruch von Blut, Urin und Angst raubten ihm fast den Verstand.
Hinter dem zersplitterten Holz hatte er ein sicheres Versteck gefunden. Mit der Rechten umklammerte er sein Schwert und wartete. Wenn einer der Angreifer auf ihn zukäme, würde er zuschlagen. Zumindest einen von ihnen würde er töten, bevor sie ihn umbrachten.
Denn was der König auch gesagt haben mochte, soviel stand fest: Sie würden alle sterben. Der König hatte es gewußt; sie hatten es alle in seinem Gesicht gelesen. Er wollte, daß sie im Kampf um die Blaue Insel starben, ohne etwas über die Angreifer zu wissen. Vielleicht war es aber besser, unter den neuen Herrschern zu leben, als zu sterben. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, das herauszufinden.
Er würde sich ergeben. Genau das würde er tun. Nicholas befand sich bereits in ihrer Gewalt. Powell hatte es gesehen, als er durch die Küche geschlichen war. Gefangen von einer Frau. Die Diener hatten keinen Zweifel daran gelassen, wer Nicholas war. Powell hatte sich rasch davongemacht, bevor sie ihn ebenfalls entdeckten. Er wollte keine Geisel sein. Er wollte leben, nicht gefoltert werden und sterben. Er hatte zu viele Menschen gesehen, die vor seinen Augen getötet worden waren.
Holzsplitter bohrten sich in seinen Rücken. Ein Mann schrie und landete so dicht vor Powell, daß er ihm direkt in die Augen blickte. Ein Fey setzte den Stiefel auf die Kehle des Mannes und stieß ihm ein Schwert durch den Hals. Powell unterdrückte ein Keuchen, als das Blut des Mannes über sein Bein spritzte. Aber er rührte sich nicht. Schon die geringste Bewegung würde ihn verraten, und dann wäre auch er ein toter Mann.
Der Fey bemerkte ihn nicht. Er zog das Schwert aus seinem Opfer und stürzte sich wieder ins Getümmel.
Draußen vor dem Tor wieherten Pferde. Powell linste durch ein Loch im Holz. Daniten. Was hatten die hier verloren? War der Tabernakel etwa schon besetzt? Er packte sein Schwert noch fester. Verdammt, er wünschte, er könnte mit diesem Ding auch umgehen.
Die Daniten hielten kleine Fläschchen in den Händen und redeten aufgeregt auf einen der Quartiermeister ein. Einer von ihnen hob seine Flasche hoch, und der Quartiermeister schüttelte lachend den Kopf. »Ich bin Wachsoldat«, sagte der dicke Mann so laut, daß sich seine Stimme über den Lärm ringsum erhob. »Kein Priester.«
Der Quartiermeister überquerte den Hof mit gezücktem, aber nicht erhobenem Schwert. Powell wandte sich vom Tor ab. Um ihn herum schrien und weinten Menschen. Er wischte sich mit dem Arm über das Gesicht und stöhnte auf, als er spürte, wie das angetrocknete Blut auf seiner verschwitzten Stirn klebte.
Sie hatten gelacht.
Die Daniten hatten gelacht.
Er runzelte die Stirn und spähte noch einmal durch das Tor. Die Daniten waren verschwunden. Der Quartiermeister war mit einem merkwürdigen Ausdruck auf seinem fleischigen Gesicht stehengeblieben. Powell biß sich auf die Unterlippe. Wie konnten sie nur angesichts dieser schrecklichen Ereignisse lachen? Hatten sie das etwa alles so geplant? Sie waren es schließlich gewesen, die dem König als erste Meldung erstattet hatten. Sie waren diejenigen gewesen, die sich ungewöhnlich verhielten, die sich benahmen, als hätte es überhaupt keine Vorwarnung gegeben. Vielleicht war das alles ja nur der fehlgeschlagene Versuch eines Staatsstreiches?
Nein. Er zuckte zusammen, als hinter ihm jäh ein markerschütternder Schrei abriß. Der Quartiermeister bemerkte die Bewegung und drehte sich um. Ihre Blicke trafen sich. Das Lächeln des Wachtpostens wirkte kühl. Powell nickte ihm zu. Unverschämter Kerl. Er hatte wohl keine Ahnung, wie er sich Ranghöheren gegenüber zu benehmen hatte. Wahrscheinlich fand der Quartiermeister es witzig, daß sich einer der Lords fluchtbereit neben dem Tor versteckt hielt.
Powell würde schon dafür sorgen, daß ihm das Lachen verging. Er würde die Ursache für die Heiterkeit dieses wichtigtuerischen Soldaten herausfinden. Powell packte sein Schwert, trat von der Öffnung zurück und hielt die Waffe wie einen Schild vor sich. Es befanden sich keine Fey in der Nähe. Sie hatten sich bei den Zugängen zum Palast zusammengerottet.
Powell machte erst einen, dann zwei Schritte nach vorne. Nur ungern verließ er den Schutz der zersplitterten Holztür. Dann stand der Quartiermeister plötzlich vor ihm, ein riesiger Körper, eher muskulös als dick, ein Schutzwall vor der Zerstörung. Er grinste ihn freundlich an. Powell
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