Fey 01: Die Felsenwächter
wunderte sich, wieso er ihn jemals für kalt gehalten hatte.
»Habt Ihr auf mich gewartet?« Die Stimme des Quartiermeisters dröhnte über den Hof. Erschrocken sah Powell sich um und legte zum Zeichen der Verschwiegenheit den Finger auf die Lippen.
»Gut.« Der Quartiermeister kauerte sich vor dem soeben getöteten Mann nieder. Powell blickte auf die Leiche hinunter. Der Kopf war fast vom Körper getrennt, und vor seinen Füßen sammelte sich das Blut in einer kleinen Pfütze. »Ein Geschenk?« fragte der Quartiermeister.
Powell runzelte die Stirn. Er war anscheinend schon ganz verwirrt, vielleicht von der Hitze, dem Lärm oder der Helligkeit. Sein Gehör ließ ihn offenbar im Stich. »Was?«
Der Quartiermeister lachte und tunkte seine Hände in das Blut. Dann beschmierte er seinen ganzen Körper damit. Lord Powell lief es eiskalt über den Rücken. Irgend etwas stimmte hier nicht, irgend etwas lief hier vollkommen verkehrt. Er trat vorsichtig einen Schritt zurück, aber der Quartiermeister ergriff seinen Arm.
»Nicht so hastig«, sagte er, und jetzt war da wieder dieser kalte Blick in seinen Augen. »Ich brauche Euch, Lord Powell.«
Der Griff des Quartiermeisters war fest. Vergeblich versuchte Powell ihn abzuschütteln. Während sich der Quartiermeister mit einer Hand die Kleider abstreifte und seinen Körper mit dem restlichen Blut beschmierte, starrte er Lord Powell unverwandt an.
Hilfesuchend blickte sich Powell um. Jeder, den er sah, kämpfte gegen einen Fey, von denjenigen an den Palasttüren abgesehen. Es gab niemanden, der ihm hätte beistehen können. Niemanden, der seine mißliche Lage bemerkte. Ihm blieb keine Wahl.
Er hob sein Schwert und schlug es gegen das Handgelenk seines Angreifers. Die Klinge schnitt tief ins Fleisch. Es knirschte, als sie auf den Knochen traf. Der Quartiermeister schrie auf, sein Griff löste sich. Powell riß sich los und rannte stolpernd, mit weichen Knien, quer über den Hof zurück zum Palast. Alles war besser als dieser Wahnsinnige.
Ein Körper prallte gegen seinen und warf ihn in den Schlamm. Sein Schwung war dahin. Powell versuchte wegzurollen, aber das Ding auf ihm war zu schwer. Er blickte über die Schulter und sah das Gesicht des Quartiermeisters, der ihm sein Kinn in den Rücken drückte. Der Quartiermeister legte seine Hände und Füße um Powell und drückte ihn fest auf den Boden.
Er kämpfte, aber irgend etwas riß an ihm, zerrte ihn aus seiner eigenen Haut heraus. Es war nicht schmerzhaft. Er konnte sich an nichts mehr festhalten. Dann war er für einen Moment wie losgelöst und schwebte über seinem eigenen Körper.
Der da auf ihm lag, war nicht mehr der Quartiermeister, sondern ein langer, dünner Fey, dessen nackter Körper mit Schmutz und Blut bedeckt war. Sein Gesicht hatte einen wilden, fast tierhaften Ausdruck. Dann sah er hoch, erblickte Powell und atmete tief ein.
Powell versuchte sich festzuhalten, irgendwo, an irgend etwas, aber er wurde mit unwiderstehlicher Kraft zu diesem animalischen Wesen gesogen. Er war von Luft umgeben … war selbst ein Teil davon … und dann …
… war er Quartiermeister Grundy, nichts als ungezügelter Appetit und Prahlsucht, er saß gerade beim Frühstück, als dieses Ding, dieses …
… Schattengänger, ein Fey, ein Doppelgänger, selbst nur ein halber Mensch, in Nye verletzt, fast getötet, jetzt zu einer neuen Insel unterwegs, auf einen einfachen Kampf hoffend …
Ich verliere mich in ihnen, dachte Powell, und dann ergab er sich in sein Schicksal.
23
Das Geräusch der stampfenden Hufe wurde leiser. Zur Sicherheit hielt Rugar die Augen noch ein paar Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, geschlossen. Seine rechte Wange war tief in den Schlamm gedrückt, er atmete flach. Der Leichengestank brachte ihn zum Würgen.
Eine Katastrophe. Es war eine Katastrophe. Der Zauber der Inselbewohner war noch mächtiger, als er gedacht hatte. Er befand sich mitten in einem richtigen Krieg.
Der Schlamm auf seiner Haut war kalt. Die Kälte breitete sich in seinem Körper aus. Er mußte nachdenken, aber dafür war jetzt keine Zeit. Er hatte die Truppen zurückgezogen, aber es mußte etwas mit ihnen geschehen, bis er einen Beschluß gefaßt hatte, wie er gegen diese neue Bedrohung vorgehen sollte.
Er öffnete die Augen. Der Körper neben ihm war in fötaler Haltung zusammengekauert und hatte die Arme über den geschmolzenen Kopf erhoben. Die Gesichtszüge waren völlig unkenntlich. Rugar fröstelte. Er
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