Fey 01: Die Felsenwächter
verfügten häufig über besondere Kräfte, aber Jewel hatte bis jetzt noch keine Anzeichen davon gezeigt. Sie war noch jung und diente bei der Infanterie, um Erfahrungen zu sammeln.
»Wir können die Schwarzkittel nicht aufhalten«, sagte Fledderer.
»Wir müssen sie nicht aufhalten«, erwiderte Schattengänger. Er blickte über Fledderers Kopf hinweg auf den hinter ihm tobenden Kampf. »Wir müssen die zukünftige Schwarze Königin retten.«
Fledderer schluckte. Das bedeutete, über die Straße zu gehen und sich mitten ins Gefecht zu stürzen. Das kam nicht in Frage. »Dabei werden wir sterben.«
Schattengänger schüttelte den Kopf. »Ich nicht. Sie werden doch keinen Quartiermeister töten.«
»Aber wenn du bespritzt wirst …«
»Ich werde mich vorsehen.«
»Einer von unseren Leuten könnte dich angreifen.«
»Das werden sie nicht tun«, sagte Schattengänger mit einer Zuversicht, die ihm Fledderer nicht abnahm. Er hatte bereits gesehen, wie Doppelgänger von Fey getötet worden waren.
Das Stampfen der Hufe kam näher. Fledderers Mund war trocken vor Angst. »Ich kann dich nicht allein gehen lassen.«
»Als ob du es auch nur bis über die Straße schaffen würdest, so blutbesudelt und verschmiert, wie du aussiehst.«
Fledderer wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, aber das half nichts. Das Blut war bereits festgeklebt. »Die kriegen mich sowieso.«
Schattengänger schüttelte den Kopf. Grundys Kopf. Schweiß tropfte von seinem Kinn. »Kommt nicht in Frage. Du schleichst jetzt durch die Hintergäßchen und Nebenstraßen. Wie es sich für eine gute Rotkappe gehört, wirst du jedem Inselbewohner ausweichen und zu den Schiffen zurückgehen.«
»Zu den Schiffen?« Einen Augenblick lang verspürte Fledderer so etwas wie einen Funken Hoffnung. Schiffe bedeuteten Sicherheit. Kein Inselbewohner konnte auf die Schiffe kommen. »Aber die sind im Schattenland.«
Schattengänger nickte. Er bückte sich, bis er sich auf gleicher Augenhöhe mit Fledderer befand. Jetzt sah Fledderer die goldenen Flecken in seinen Augen. Die nicht ganz perfekte Wölbung der Lider. »Sieh mal«, sagte er und sprach wie Schattengänger, nur in einer anderen Tonlage. »Du mußt zu den Wetterkobolden gehen und um Regen bitten.«
»Das ist Rugars Aufgabe.«
»Rugar ist vielleicht schon tot.«
Fledderer überlief ein Frösteln. Alle konnten sterben. Die Pferde waren jetzt ganz in der Nähe, er fühlte, wie die Erde unter ihren Hufen bebte. Noch niemals hatten die Fey auf diese Art verloren. Niemals, weder in seiner, Fledderers, Erfahrung noch in ihrer gesamten Geschichte. Rugar tot? Heute nachmittag schien alles möglich.
»Warum Regen?« fragte er, nur für den Fall, daß die Kobolde es wissen wollten. Er war der Niedrigste der Niedrigen. Er hatte kein Recht, irgend etwas zu verlangen, auch wenn Rugar tot war.
»Weil wir dadurch zumindest eine Möglichkeit zur Flucht hätten«, antwortete Schattengänger.
Der Regen würde das Gift verwässern und ihnen Deckung geben. Fledderer nickte.
»Du kümmerst dich um Jewel?«
Schattengänger klopfte Fledderer auf die Schulter. »Irgendeiner muß es ja tun.« Er erhob sich wieder. »Viel Glück.«
»Das wünsche ich dir auch«, antwortete Fledderer.
Aber Schattengänger schien ihn gar nicht mehr zu hören. Schleppend und langsam ging er jetzt an Fledderer vorbei, gar nicht wie der geschmeidige, bewegliche Schattengänger. Er trat auf die Straße hinaus, als die Pferde, auf deren Rücken noch mehr Schwarzkittel saßen, von der anderen Gruppe am Tor angehalten wurden. Die Robenträger winkten Schattengänger heran. Er stolzierte zu ihnen hinüber. Fledderer biß sich auf die Unterlippe. Sie würden Schattengänger töten. Aber nein. Sie lachten und klopften ihm auf den Rücken.
Schattengänger warf einen kurzen Blick zurück. Fledderer duckte sich und machte sich aus dem Staub. Hintergäßchen und Seitenstraßen. Er mußte es irgendwie bis zum Fluß schaffen.
Wenn er das Ufer erreichte, würde er vielleicht sogar überleben.
22
Sie würden alle sterben. Ohne Ausnahme. Er wußte es.
In der Nähe des zerstörten Tores hatte sich Lord Powell zusammengekauert, sein Haar hing wirr und verfilzt herab, sein Hemd war zerrissen und die Arme blutbesudelt. Nur mit knapper Not war er lebend aus dem Palast herausgekommen. Dann hatte er vorsichtig auf die Straße gespäht und noch mehr Eindringlinge erblickt, diese bösartigen Wesen, die jeden niedermachten, den er kannte. Die
Weitere Kostenlose Bücher