Fey 01: Die Felsenwächter
wußte, wie es war, auf diese Art zu sterben, wenn man spürte, wie sich der ganze Körper veränderte, wie sich die Nasenflügel schlossen und der Mund versiegelt wurde. Er schluckte, aber der Gestank blieb in seiner Kehle stecken wie ein Stück Brot.
Weit entfernt erhoben sich Schreie und Metallgeklirr im entgegengesetzten Rhythmus zu seinem eigenen Atem. Sein Herz pochte ihm gegen die Rippen. Er war am Leben. Viele seiner Leute waren es nicht mehr.
Wieder schluckte er und setzte sich hin. Langsam zog er die Hände aus dem Schlamm und wischte sie an seiner Kleidung ab. Die Fingernägel waren blau angelaufen, die Hände weiß verfärbt. Links und rechts neben ihm lagen Leichen, so weit das Auge reichte. Auf dem Fluß glitzerte das Sonnenlicht und leuchtete die Szene bis in den letzten Winkel aus.
Tot. In all den Jahren als Soldat hatte er noch niemals ein solches Massaker erlebt, obwohl es Geschichten von früheren Schlachten gab, die Ähnliches berichteten, von Tagen, an denen die Fey einsehen mußten, daß ihre Zauberkräfte sie nicht vor allem schützen konnten.
Die Fey ritten von den Eccrasischen Bergen herunter, und in ihrem Gefolge ritt der Tod. Als sie auf die Schwerter der Ghitlus trafen, lernten die Fey, von fremder Hand zu sterben. Sie zogen sich in die Berge zurück, fertigten ihre eigenen Schwerter, und so entstand die Infanterie. Die Infanterie und die Fähigkeit der Fey, ihren Feinden die Stärke zu entziehen und zu ihrem eigenen Vorteil zu gebrauchen.
Rugar hatte ein ganzes Truppenkontingent mitgenommen. Es würde nicht lange dauern, bis sie herausgefunden hatten, auf welche Weise das Wasser wirkte. Er mußte nur genügend Zeit dafür finden.
Die Fey hatten sich schon einmal zurückgezogen. Sie konnten es wieder tun.
Der Schlamm auf seinen Händen war angetrocknet. Er hielt Ausschau nach Solanda, konnte sie aber nirgends entdecken. Er brauchte unbedingt dieses Fläschchen, das sie gestohlen hatte. Die Flasche und etwas Zeit. Caseo hatte die Hüter ins Schattenland geschickt. Es würde nur wenig Zeit in Anspruch nehmen, die gesamte Armee dorthin zu schicken. Rugar hatte das Schattenland groß genug gebaut, um alle Schiffe aufzunehmen, und auf den Schiffen befand sich ausreichend Proviant. Unter den Inselbewohnern würde das Verschwinden der Fey sicher einige Verwirrung auslösen, und sobald die Fey hinter das Geheimnis der Flaschen gekommen waren, hatten sie den Vorteil der Überraschung wieder auf ihrer Seite.
Alles war gut. Alles, was sie aus diesem Durcheinander befreite.
Er nahm einen tiefen, zitternden Atemzug, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dann beugte er sich über den entstellten Leichnam zu Eisenfaust hinüber. Dieser hatte sich mit der linken Seite in den Schlamm gegraben, seine Nase und sein rechtes Auge fielen nur einem besonders aufmerksamen Betrachter auf. Rugars schmutzige Hand schwebte über Eisenfausts Schulter, ohne sie zu berühren.
»Sie sind weg«, sagte er ruhig.
Eisenfaust rührte sich nicht.
»Eisenfaust«, wiederholte Rugar. »Sie sind weg.«
Dann senkte er die Hand und berührte Eisenfaust. Er war erleichtert, als er die Wärme eines lebendigen Menschen unter dem Hemd spürte. Eisenfaust öffnete die Augen. Sein Blick war genauso kalt wie der Boden unter ihnen.
Rugar zuckte zusammen. Sie würden ihm die Schuld an diesem Blutbad geben, genau wie sein Vater. Wenn er die Niederlage jetzt noch in einen Sieg verwandeln wollte, mußte er sehr stark sein. Am besten fing er damit an, die Truppen an seiner Seite zusammenzuhalten.
»Ich habe einen Plan«, sagte er. »Aber zuerst müssen wir unsere Leute ins Schattenland bringen.«
Eisenfaust setzte sich auf. Von einer Seite seines Scheitels tropfte der Schlamm. Er machte keinen Versuch, den Schmutz abzuwischen. »Zurückziehen?«
»Bis wir das Geheimnis ihres Zaubers gelüftet haben«, erläuterte Rugar. »Und dann bringen wir sie alle um.«
Eisenfaust schnaubte verächtlich und wandte den Blick ab.
Rugar packte Eisenfausts Kinn so fest, daß er ihm die Wangenknochen quetschte. »Wenn du willst, kannst du hier sterben«, sagte Rugar. »Aber ich werde nicht vergessen, daß du schon nach einer einzigen Schlacht aufgegeben hast und als Feigling gestorben bist. Und immer, wenn die Fey über Ehrlosigkeit reden, wird dein Name fallen.«
»So lange wird keiner von uns mehr leben«, gab Eisenfaust zurück.
Rugar starrte ihn an. Das schlammbedeckte Gesicht des Mannes war leer. Er diente Rugar seit vielen Jahren
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