Fey 01: Die Felsenwächter
auskannte, war Stephan. Er hatte diese Kunst ebenso gründlich studiert wie Matthias die Religion. Nicht einmal die Wachen wußten, was sie in einem richtigen Kampf zu tun hatten. Mitunter hatten sie die königliche Familie vor wütenden Bauern oder Palastintrigen beschützen müssen, aber das ließ sich nicht mit dem Angriff der Fey vergleichen. Die Fey hatten die besten Armeen der Welt besiegt.
Stephan saß vor dem Tisch auf einem Stuhl, zeichnete Pläne, zerknüllte die Skizzen und warf sie in die Ecke. Schon bald würden alle alten Karten und Dokumente hier im Raum nur noch ein Haufen beschmiertes Papier sein. Alexanders Vater wäre über einen solchen Frevel entsetzt gewesen, doch Alexander dachte, daß es jetzt darauf auch nicht mehr ankomme: Sollte Stephan doch alles in diesem Raum zerstören. Ohne Zukunft war auch die Geschichte der Blauen Insel bedeutungslos geworden.
Sie hätten diskutieren, denken, planen sollen, aber die Größe der Aufgabe überforderte sie völlig. Alexander wußte einfach nicht, wo er anfangen sollte.
»Wie lange sollen wir noch hier oben bleiben?« fragte er. »Bis der Kampflärm leiser wird?«
Stephan blickte von seinen Zeichnungen auf. »Oder bis uns jemand Bescheid sagt.«
»Das kommt mir alles sinnlos vor«, sagte Alexander. »Daß ich am Leben bleiben muß, obwohl es nichts mehr gibt, das ich regieren kann.«
»Solange der König am Leben ist, gibt es auch ein Königreich«, entgegnete Stephan. »Sie können nicht jeden auf dieser Insel töten, und das werden sie auch nicht tun. Das ist nicht ihre Art. Nach ihren Eroberungen lassen sie die besetzten Gebiete für ihr Imperium arbeiten. Sie sind sehr tüchtig. Sie werden auch hier Fey-Gouverneure einsetzen, die die Überlebenden härter schuften lassen als je zuvor. Die Blaue Insel ist reich an Bodenschätzen, die die Fey nicht allein erschließen können. Also werden sie einige unserer Leute am Leben lassen. Leute, die ständig zu Euch aufsehen werden.«
»Sogar Ihr macht ja schon Pläne für die Zeit nach unserer Vernichtung.« Alexander setzte sich auf die Bank, die Stephan gegenüberstand. Staubwolken stiegen auf, und er nieste abermals. Dann strich er sich das Haar aus der Stirn.
»Wir sind Esel, wenn wir denken, wir könnten diesen ersten Angriff irgendwie überstehen. Wir werden die Verlierer sein, Sire. Das müssen wir hinnehmen. Aber wir müssen uns nicht mit der Niederlage abfinden.« Stephan rieb sich über das stoppelige Kinn. »Und deswegen müßt Ihr hierbleiben.«
Alexander seufzte und legte den Kopf auf die Arme. Dju hatte ihn gewarnt. Bei seinem letzten Besuch, kurz vor der Eroberung von Nye, hatte Dju Alexander um eine private Audienz gebeten. Sie werden uns einfach überrennen, hatte Dju gesagt. Und als nächstes werden sie Euch heimsuchen.
Aber niemand kann die Blaue Insel ohne unsere Hilfe erreichen, hatte Alexander geantwortet.
Die Fey schon. Sie verfügen über andere Möglichkeiten als wir. Schon jetzt haben sie unsere Ostgrenzen eingenommen, obwohl wir seit Jahrzehnten auf ihren Angriff vorbereitet waren. Unsere Soldaten sind ausgebildet und kampfbereit. Ihr habt nicht einmal richtige Soldaten, Sire. Die Fey werden Euch an einem einzigen Nachmittag besiegen.
Warum sagt Ihr mir das? fragte Alexander.
Euer Mangel an Zukunftsplanung beunruhigt mich, und Eure Vorstellung, daß Ihr nicht zu dieser Welt gehört, beunruhigt mich noch viel mehr. Für Nye mag es vielleicht zu spät sein, aber der Blauen Insel bleibt noch ausreichend Zeit.
Er hatte es nicht hören wollen. Er war mehrfach von Leuten seines Vertrauens gewarnt worden, aber er hatte sich immer taub gestellt. Er hatte es vorgezogen zu glauben, daß das Eiland sie beschützte, so wie es seine Bewohner immer beschützt hatte. Durch diesen Mangel an Voraussicht hatte er seine Leute zum Tode verurteilt.
Seinen eigenen Sohn zum Tode verurteilt.
»Ich wünschte, Nicholas wäre hier«, sagte er.
»Ich auch«, sagte Stephan. »Wir brauchen ihn genauso wie Euch.«
Alexander hob den Kopf. Stephan hatte den Blick abgewandt. Seine Wangen waren gerötet. Der geschäftsmäßige Tonfall hatte seine Sorge um Alexanders Sohn überspielt. Stephan hatte sich ebenso um Nicholas gekümmert wie Alexander, vielleicht sogar noch mehr.
Sollte Nicholas den heutigen Tag überleben, so hatte er das Stephan zu verdanken, nicht Alexander.
Er mußte nachdenken. Sie waren vom Fluß gekommen. Sie hatten nicht nur eine Invasion geplant, sondern sie wollten das gesamte
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