Fey 02: Das Schattenportal
erschöpft. Normalerweise verzichtete der alte Mann nie auf seinen Schlaf. Das war eins der Geheimnisse seiner Zähigkeit. »Ich würde die Aufgabe gern selbst zu Ende bringen.«
Matthias seufzte, als wäre er nicht damit einverstanden, und wandte sich noch einmal an Tel. »Dann bis später.«
»Bis später«, sagte Tel.
Die beiden Männer kamen auf ihn zu. Tel öffnete die Tür. Er lockerte den Griff um das Stilett und zog die Hand aus der Tasche. In diesem Augenblick stolperte Matthias und kippte das Tablett in seine Richtung.
Tel hatte keine Zeit mehr zum Ausweichen. Nur eine Flasche rutschte vom Tablett herunter, und er fing sie mit der linken Hand auf, ohne daß der Stöpsel heraussprang. Das Glas fühlte sich kühl in seiner Haut an. Kein Brennen. Keine plötzliche Veränderung. Es war nichts übergelaufen.
Jetzt spürte er, wie die Panik seinen Körper durchlief, doch er weigerte sich, darauf zu reagieren, bevor die beiden anderen außer Sichtweite waren. Mit bemüht ruhiger Hand stellte er die Flasche wieder auf das Tablett, wobei ihm nicht entging, daß Matthias ihn argwöhnisch beobachtete. Matthias hatte das Tablett absichtlich kippen lassen.
»Braucht Ihr Hilfe, Matthias?« fragte Tel. Es gab auch andere Methoden, das Geheimnis des Weihwassers herauszufinden.
»Tut mir leid«, erwiderte Matthias. »Wir sind schon die ganze Nacht unterwegs.«
»Ich danke Euch für Euer Angebot«, sagte der Rocaan, »aber es würde länger dauern, Euch zu unterweisen, als es selbst schnell zu erledigen. Wir sehen uns dann beim Morgensakrament, Andre, und ich werde Euch anschließend segnen.«
»Wenn er zum Morgensakrament erscheint, dann besteht kein Grund mehr für eine Segnung, oder, Heiliger Herr?« fragte Matthias.
Tels Herz klopfte so heftig, daß er sich wunderte, daß es nicht aus seinem Brustkasten heraussprang. Wußten sie Bescheid? Es hatte ganz den Anschein.
Der Rocaan seufzte. »Vielen Dank, Matthias. Ihr seid immer so besorgt um mich.«
»Ich bemühe mich, Heiliger Herr«, sagte Matthias. Dann drehte er sich zu Tel um. »Wir sehen uns nach Sonnenaufgang.«
»Bis zum Sakrament«, sagte Tel. »Gute Nacht, Heiliger Herr.«
»Andre.«
Damit gingen sie den Korridor hinunter. Tel kehrte in sein Gemach zurück. Er schloß die Tür und lehnte sich von innen dagegen, dem Zusammenbrach nahe. In seinem ganzen Leben hatte er noch nicht soviel Angst gehabt. Beinahe wäre er dort draußen gestorben.
Vielleicht würde er sterben. Vielleicht hatten sie das Rezept irgendwie verändert. Er nahm einen Feuerstein. Seine Hände zitterten so sehr, daß er kaum einen Funken hervorbrachte. Als es ihm schließlich gelang, zündete er die Lampe neben der Tür an. Dann starrte er auf seine linke Handfläche.
Sie sah ganz normal aus. Nach dem, was er in den Schlachten gesehen hatte, starben die Opfer fast sofort. Die Veränderung trat unverzüglich und mit vernichtender Wirkung ein. Seine Handfläche sah normal aus. Nichts hatte sich verändert.
Er ballte die Hand zur Faust und atmete tief durch. Sie wußten nichts, doch Matthias hatte Verdacht geschöpft. Schließlich hatte Tel die Andacht durchgeführt. Vielleicht hätte er bemerken müssen, daß etwas mit dem Weihwasser nicht stimmte. Wenn der Aud berichtete, daß es auf Tels Befehl hin ausgetauscht worden war, würden sie alle Bescheid wissen.
Er zwang sich, tief Luft zu holen und nachzudenken. Auds sprachen Älteste niemals an, es sei denn, sie wurden direkt gefragt oder sie waren an der Durchführung einer Andacht beteiligt. In all den Jahren hatte noch kein Aud Andre mit irgendwelchen Berichten über einen anderen Ältesten belästigt. Aus dieser Richtung drohte ihm vermutlich keine Gefahr.
Aber das falsche Weihwasser. Er hatte gedacht, niemand würde den Unterschied bemerken. Auch Andre war davon überzeugt gewesen. Offensichtlich gab es ein Geheimnis, das er nicht kannte. Es würde nicht mehr ausreichen, das Wasser noch mal zu vertauschen. Er mußte sich etwas Neues zu seinem Schutz ausdenken.
Dabei blieb ihm kaum mehr eine Stunde bis zum Morgensakrament.
Tel stieß sich von der Tür ab und ging zu einem der Sofas hinüber. Er setzte sich auf die Kante, stützte die Ellbogen auf die Knie und rief Andres Wissen über das Morgensakrament auf.
Es ähnelte in vielerlei Hinsicht dem Mitternachtssakrament. Nur die Botschaft war eine andere, doch darüber mußte er sich keine Gedanken machen. Wichtiger für ihn war das Weihwasser. Da er die Zeremonie nicht
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