Fey 02: Das Schattenportal
so lange anzunehmen, bis er das Geheimnis des Giftes erfahren hatte. Dann würde er als Held in die Schattenlande zurückkehren, und die Fey konnten die Insel so leicht erobern, wie sie es sich von Anfang an vorgestellt hatten. Eine Hochstimmung erfüllte ihn, wie er sie schon seit langem nicht mehr verspürt hatte.
Die lange dunkle Nacht der Niederlage war fast vorüber. Er war beinahe wieder zu Hause.
37
Nicholas kam es vor, als würde er wegen jeder Kleinigkeit zu seinem Vater rennen. Er und sein Vater hatten sich über den gefangenen Fey unterhalten, über die Katzen und die mysteriösen Knochen. Nun war Nicholas schon wieder zum Kriegszimmer unterwegs. Er haßte diesen Raum, obwohl sein Vater immer mehr Zeit darin zu verbringen schien, unruhig auf und ab gehend, grübelnd und die Karten studierend. Nicholas sah immer noch die Stelle in der Ecke, an der Stephan – oder dieses Ding, das sich als Stephan ausgegeben hatte – zu einer ekelhaften, unerkennbaren Masse zusammengeschmolzen war.
An der Tür zum Kriegszimmer standen zwei Wachen mit gekreuzten Waffen. Unten am Turmeingang waren noch mehr Wachen postiert gewesen. Nicholas selbst hatte die Wachen, die ihm sein Vater zugeteilt hatte, abgelehnt. Er war nicht sicher, ob es eine gute Idee war, sich ständig mit Wachen zu umgeben, und hatte eher Angst davor, daß sich die Fey auf diese Weise noch leichter an ihn heranmachen konnten. Ohne Wachen war es ebenso schwierig. Nichts und niemand schützte ihn vor einem Überraschungsangriff.
Er nickte den Soldaten zu und legte die Hand auf den Türknauf. Die Wachen nickten zurück. Nicholas stieß die Tür auf.
Neue Landkarten bedeckten die Wände, und der Raum glänzte frisch gewienert. Die Flecken waren schon längst weggewischt worden, doch Nicholas sah sie immer noch. Das war der Ort, an dem er erwachsen geworden war, der Ort, an dem er gelernt hatte, daß er sehr wohl jemanden lieben mochte, aber daß Liebe nicht bedeutete, daß er ihm vertrauen konnte.
Er vermißte das simple Vertrauen in die Leute in seiner unmittelbaren Umgebung. Seit er es verloren hatte, fühlte er sich einsam.
Sein Vater saß am Tischende und ließ den Blick über eine entrollte Liste wandern, die endlos zu sein schien. Als er Nicholas erblickte, lächelte er und winkte ihm zu, ein Zeichen dafür, daß Nicholas die Tür schließen sollte.
»Weißt du eigentlich«, sagte sein Vater, »daß wir bei den Überfällen und kleinen Geplänkeln seit der Invasion über eintausend Menschenleben verloren haben? Und das sind nur die offiziell bestätigten. Darin sind die Frauen, Kinder und Männer, die zu Hause geblieben sind, um ihre Familien zu verteidigen, nicht einmal mitgezählt. Nur die Männer, die als Wachen gearbeitet oder sich freiwillig gemeldet haben, um ein bestimmtes Gebiet zu verteidigen. Auch die Verluste während der Invasion sind dabei nicht berücksichtigt.«
»Ich weiß nicht, warum du dich damit quälst«, erwiderte Nicholas unwirsch. »Wir haben Krieg.«
Etwas im Klang von Nicholas’ Stimme mußte den Vater alarmiert haben. Er ließ von der Schriftrolle ab, die sofort zusammenschnurrte. »Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Nicholas. Er blieb vor dem Tisch stehen. Es roch entfernt nach Tinte und Pergament. »Ich hoffte, du könntest es mir erklären. Hat dir der Rocaan von irgendwelchen Plänen erzählt, Jahn zu verlassen?«
»Nein«, antwortete Alexander. »Ich habe seit gestern nicht mehr mit ihm gesprochen, aber er hätte mich sicherlich davon in Kenntnis gesetzt.«
»Das hat er nicht«, gab Nicholas zurück. »Als ich heute abend einen Ausritt machte, sah ich seinen Troß die Brücke überqueren. Ich habe mit einem Aud geredet. Der Rocaan und drei der Ältesten sind unterwegs zum Blumenfluß.«
»Irgendeine Zeremonie vielleicht?«
»Früher wäre das denkbar gewesen. Jetzt nicht. Die Straße zum Blumenfluß führt sie am Lager der Fey vorbei.«
Sein Vater nahm die Schriftrolle, band sie mit einer Kordel zu und legte sie auf den Tisch hinter ihm. »Warum hast du nicht mit dem Rocaan gesprochen?«
»Das habe ich versucht. Der Rocaan und die Ältesten wollen bis zu ihrer Rückkehr mit niemandem reden.«
»Und sie wußten, daß du es warst?«
»Ja.« Das war ja das Seltsame daran. Der Troß des Rocaan hatte nicht einmal für ihn haltgemacht.
Sein Vater stieß die Luft aus und lehnte sich an die Stuhllehne. Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht.
»Ihre Entschlossenheit und diese
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