Fey 02: Das Schattenportal
nicht sicher, ob ich nicht zu weit gegangen bin. Ich bin auf eine derartige Führerschaft nicht vorbereitet, Nicholas. Unsere Geschichte bereitet uns mit nichts darauf vor, wie man sich bei der Bekämpfung von Eindringlingen verhält. Innere Zwistigkeiten, das ja, aber eine Invasion …« Er schüttelte den Kopf.
Nicholas sah ihn an. Er wußte, daß sein Vater Probleme mit den vielen Veränderungen hatte, aber er hatte ihn nie für schwach gehalten. Trotzdem zeichneten sich die Beweise dafür immer deutlicher ab. Alexander traf keine Entscheidungen und unterließ es, den einzigen Vorteil, den die Inselbewohner hatten, entschlossen auszuspielen. So lange, bis die Inselleute eines Tages auch diesen Vorteil nicht mehr besaßen.
»Wir haben die Wahl«, sagte Nicholas. »Entweder wir bekämpfen und besiegen sie und töten den ganzen Haufen, oder wir finden einen Weg, mit ihnen zu leben. Diese Halbherzigkeiten mit gelegentlich ausbrechenden Scharmützeln, bei denen immer wieder Menschen sterben, werden nicht mehr lange gutgehen. Bisher ist bereits ein Fey zu uns übergelaufen. Wie viele Inselbewohner werden sie wohl davon überzeugen, zu ihnen überzuwechseln?«
Sein Vater sah aus wie vom Donner gerührt. Daran hatte er offensichtlich noch nicht gedacht. Er starrte auf die mit rotem Band verschnürte Schriftrolle, dann kehrte sein Blick wieder zu Nicholas zurück. »Was schlägst du vor?«
»Wir gehen mit unserer stärksten Streitmacht in ihr Schattenland, zwingen sie dazu, es zu öffnen, und werfen soviel Weihwasser wie möglich hinein. Vielleicht bringt sie das nicht um, vielleicht aber doch.«
Alexander schüttelte den Kopf. Schon einmal hatte er sich vor allen Ratgebern dagegen ausgesprochen und dabei zu bedenken gegeben, daß ihr Vorrat an Weihwasser verlorengehen könnte und die Inselbewohner nichts dabei gewonnen hätten. Schon damals hatte Nicholas das Argument seines Vaters als fehlerhaft empfunden.
»Wir haben sogar einen Zugang«, sagte Nicholas. »Lord Stowe hat mir gestern einen jungen Burschen vorgestellt, der als Gefangener bei den Fey war. Sein Vater ist immer noch dort. Er könnte uns ins Schattenland bringen, zumindest so weit, um unseren Plan umzusetzen.«
Sein Vater strich sich über das Kinn. In seinen Augen schimmerte eine Traurigkeit, die im vergangenen Jahr immer stärker geworden war. »Selbst wenn wir den Rocaan dazu bringen, genügend Weihwasser herzustellen«, sagte Alexander, »wären wir niemals sicher, ob wir sämtliche Fey erwischt haben. Sie sehen nicht alle aus wie wir. Einige sind kleine Kobolde, andere verändern ihr Äußeres, und wieder andere erscheinen uns in unserer eigenen Gestalt.«
»Mit der Zeit würden wir sie alle erwischen«, meinte Nicholas. Warum wollte sein Vater noch warten? Wären seine Taten seit der Ankunft der Fey nicht gleichbleibend eindeutig gewesen, hätte Nicholas geglaubt, der König stehe auf ihrer Seite. »Was sollten sie auch ohne ihre Freunde anfangen? Sie säßen hier fest und verhielten sich höchstwahrscheinlich so unauffällig wie möglich.«
Sein Vater sah zur Seite. Nicholas folgte seinem Blick. Er fiel auf die Schriftrolle. Eintausend Gefallene. Kein König hatte je zuvor so viele Tode zu verantworten gehabt. Nicholas setzte sich. Endlich wurde es klar. »Und wie wäre es, wenn wir uns entschlössen, sie nicht zu vernichten?« fragte sein Vater. »Wie wäre es, wenn wir beschlössen, Frieden mit ihnen zu schließen?«
Nicholas erschrak. Frieden? Ein Frieden mit den Fey würde die Insel für immer verändern. Aber auch der Krieg mit den Fey hatte die Insel verändert. Auch Nicholas hatte die Toten gesehen. Nur war er es nicht gewesen, der ihren Tod befohlen hatte. Er überlegte einen Moment und sagte dann: »Wir brauchten eine Garantie, etwas, das uns beweist, daß sie uns nicht hereinlegen und daß wir lernen können, auf diesem kleinen Flecken Land friedlich nebeneinander zu existieren. Und wir müßten unser selbstauferlegtes Exil hier fortsetzen. Wir könnten keinen Kontakt mit der Außenwelt unterhalten, denn wenn auch nur ein Fey die Insel verläßt, könnte er Verstärkung anfordern.«
»Verstärkung kann auch so jederzeit eintreffen«, sagte sein Vater. »Wir wissen nicht, ob sie nach einer so langen Zeit nicht ohnehin demnächst hier ankommt. Was aber, wenn wir sie alle abschlachten und der Schwarze König erscheint hier? Was dann?«
»Dann kämpfen wir wieder.«
»Wir verfügen nicht über soviel Rücklagen, Nicholas«, sagte
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