Fey 02: Das Schattenportal
Fisch. Er verdirbt schnell, wenn ich ihn nicht einlege. Ich überlasse dir diese letzten Bissen wohl besser auch noch.« Die Frau sprach, während sie arbeitete, Gräten aus dem Fisch zog und dann kleine Stückchen davon auf einen kleinen Teller legte. Solanda wußte das sehr zu schätzen.
Eleanora war eine Frau, die sich auch um Lebewesen kümmerte, die kleiner als sie waren.
Als sie das Schälchen vor Solanda stellte, gewann Solandas katzenhafte Seite die Oberhand. Sie schlang die Nahrung so hastig in sich hinein, daß sie kaum etwas davon schmeckte. Dann setzte sie sich auf die Hinterläufe und putzte sich das Gesicht, langsam und penibel, wobei sie aufpaßte, daß keine Fischbröckchen aus ihren Schnurrhaaren auf den Boden fielen.
Eleanora nahm das Schälchen weg. »Das hat geschmeckt, was? Na schön. Wenn du bleiben willst, wird schon immer ein bißchen für dich abfallen.«
Fürs erste blieb Solanda. Sie beendete ihr Mahl und streckte sich dann auf dem kleinen Läufer vor der Feuerstelle aus. Sie schloß die Augen, wollte nur ein wenig dösen, doch dann übermannte sie nach der Anstrengung der letzten Tage, die sie hierhergeführt hatten, doch der Schlaf.
Ein schriller Schrei weckte sie. Als sie die Augen öffnete, sah sie einen kleinen Jungen, der nur eine Windel trug, auf sich zuwanken. Er setzte seine speckigen Beinchen gespreizt und unsicher auf den Boden, so wie es alle Wesen tun, die eben erst laufen gelernt haben. Sie tat so, als schlafe sie noch, war jedoch bereit, jederzeit mit einem Satz davonzuspringen, falls ihr das Kleinkind zu nahe kam. Seine fetten Finger griffen voller Vorfreude in die Luft. Gerade als er sich bückte, erschien Eleanora und hob ihn hoch.
»Nein, Coulter. Sei lieb zu dem Kätzchen.«
Genau, dachte Solanda und fing an, sich zu strecken. Als sie ganz wach war, betrachtete sie das Kind. Seinetwegen war sie also hier. Das wußte sie mit einer Sicherheit, die ihrer Fähigkeit zum Gestaltwandeln gleichkam. Etwas an diesem Kind hatte sie viele Meilen von zu Hause weggezogen.
Er unterschied sich nicht von anderen kleinen Jungen seines Alters. Er hatte große neugierige Augen – blau, eine Farbe, die sie bei Fey-Kindern noch nie gesehen hatte –, und sein Haar war zu braun, um noch blond genannt zu werden. Seine Beine waren noch speckig genug, um anstelle der Knie Grübchen vorzuweisen, und sein Kinderbauch wölbte sich über der Windel weit nach vorne. Er plapperte auf die Frau ein, die ihn in den Armen hielt. Babysprache: zur Hälfte richtige Worte, zur Hälfte fröhliches Gegurgel. Solanda versuchte nicht einmal, den Lauten zu folgen.
Statt dessen rollte sie sich auf den Rücken und präsentierte ihm ihren Bauch. Es war eher ein Zeichen für Eleanora, damit sie wußte, daß man der Katze trauen konnte. Sie benötigte noch etwas Zeit, um herauszufinden, was an dem Kleinkind so besonders war, außerdem konnte sie das frische Essen gut gebrauchen. Obendrein war eine kleine Abwechslung vom Leben im Schattenland höchst willkommen.
»Aah, sieh mal, Coulter«, sagte Eleanora, »das Kätzchen ist ganz lieb zu dir. Ich zeige dir, wie man es streichelt.«
Sie kniete sich hin, hielt einen Arm schützend um das Kind geschlungen und rieb mit der anderen Hand Solandas Bauch. Solanda schnurrte und rollte hin und her. Berührungen fühlten sich in der Katzenform wesentlich besser an.
Der kleine Junge streckte eine pummelige Hand aus und tätschelte vorsichtig Solandas Bäuchlein. Sofort durchraste sie eine Entladung der Macht, so stark, daß sie sich beinahe verwandelt hätte.
»Beim Schwerte!« sagte Eleanora und wich ein Stück zurück.
Coulter protestierte und streckte weiter die Hand nach Solanda aus. Solanda stand auf. Hatte sie tatsächlich zur Verwandlung angesetzt? Sie putzte sich das Gesicht als Vorwand, um ihren Körper zu untersuchen. Es hatte sich nichts verändert. Jedes Härchen saß an seinem Platz. Aber Eleanora mußte die kurzzeitige Schwankung gesehen haben. Solanda mußte es wie eine Täuschung aussehen lassen, doch sie wollte nicht, daß der Junge sie noch einmal berührte. Also ging sie zu der Frau und rieb sich an ihren Beinen.
»Du hast mir einen schönen Schreck eingejagt, meine Schöne«, sagte Eleanora.
»Ich!« sagte der Junge. »Ich!« Er reckte die Händchen nach Solanda. Wenn sie sich auf ihre Erscheinungsform konzentrierte, müßte es möglich sein, sie auch bei seiner Berührung einzuhalten. Dabei könnte sie auch gleich feststellen, welche Macht er
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