Fey 03: Der Thron der Seherin
tief Luft. In mancherlei Hinsicht hatte er diesen Moment vorhergesehen. Er hatte schon immer gewußt, daß sie ihn eines Tages herausfordern würden. Aber er hatte nicht erwartet, daß die Fey der Anlaß sein würden. Aus irgendeinem Grund hatte er immer angenommen, daß sie alle, was die Fey anging, einer Meinung seien.
Matthias schlug die Tür hinter sich zu und ging die Treppe hinauf zum Haupttrakt des Tabernakels. Auf dem Weg zum Audienzsaal schlug er einen angemessen langsamen Schritt ein. Jedes Anzeichen von Eile hätte als Panik ausgelegt werden können.
Die Doppeltüren waren weit geöffnet, man wartete auf ihn. Alle Ältesten waren versammelt, Reece eingeschlossen. Heftig mit seinen schlanken Händen gestikulierend teilte er den anderen offenbar gerade mit, daß Matthias jeden Moment eintreffen mußte.
Der Audienzsaal war so riesig, daß die acht Männer beinahe darin untergingen. Die Stühle waren an die Wand geschoben und die Kerzen des großen Leuchters angezündet worden, aber man hatte versäumt, ihn wieder unter die Decke zu ziehen. Die aufwendig geschliffenen Glashalterungen der Kerzen befanden sich auf gleicher Höhe mit Matthias’ Kopf, Wachs tropfte auf den Boden.
In der Mitte des Raumes stand Porciluna. Sein Talar war aus besonders edlem Samt, die zierlichen silbernen Schwerter an seiner Schärpe auf Hochglanz poliert. Selbst nach der Invasion hatte es Porciluna irgendwie fertiggebracht, sich immer nur das Beste zu sichern – das beste Essen, das bequemste Bett, die kostbarsten Juwelen. Genau wie Matthias war auch Porciluna als Zweitgeborener zu einer kirchlichen Laufbahn gezwungen worden. Aber im Unterschied zu Matthias hatte Porciluna beschlossen, sich im Schoß der Kirche noch bequemer einzurichten, als er es je bei seiner Familie hätte haben können. Porciluna hatte nie einen Hehl aus seinen Vorlieben und seinem Mangel an Glauben gemacht.
Ganz anders der Mann neben ihm. Ilim war vierschrötig gebaut und älter als die meisten Anwesenden. Er trug einen einfachen Talar und hatte sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihm bis auf den Rücken reichte. Er überwachte die geistige Führung der Dienerschaft, ohne sich groß um die Angelegenheiten des Tabernakels zu kümmern.
Die sechs übrigen Ältesten hatten sich in kleinen Grüppchen im Raum verteilt und unterhielten sich leise. Nur Timothy schien nicht darauf zu achten, was vor sich ging. Erste graue Strähnen durchzogen sein Haar, aber er bewegte sich so geschmeidig wie ein junger Mann. Manch einer hielt seine Naivität zu Unrecht für ein Zeichen mangelnder Intelligenz. Er war in die Betrachtung der Wandmalereien vertieft, die markante Ereignisse aus der Regentschaft des Ersten Rocaan abbildeten, die Bekehrung der Landbevölkerung und die Unterwerfung seines Bruders, des Königs.
»Es ist jetzt einhundertundfünfundsechzig Jahre her, seit die Ältesten den Rocaan zum letzten Mal gerufen haben«, sagte Matthias. »Ich vertraue darauf, daß auch jetzt ein wichtiger Anlaß vorliegt.«
»Wenn Ihr einen Mord für wichtig genug haltet«, entgegnete Porciluna.
»Mord!« Linus, der an der Wand stand, wirbelte herum und trat dicht vor Porciluna. »Ihr verurteilt einen Mann, noch bevor er gesprochen hat.«
»Schließt die Tür, Vaughn«, sagte Matthias zu dem Ältesten, der ihm am nächsten stand. Während Matthias eintrat, schloß Vaughn die Doppeltüren. Matthias blickte seine früheren Gefährten an. »Der Älteste Reece sagt, ihr haltet mich für wahnsinnig.«
»Man muß schon wahnsinnig sein, wenn man die Königin während der Krönung des Königs ermordet«, gab Porciluna zurück.
»Porciluna!« Energisch packte Linus den Arm des anderen. »So hatten wir dieses Treffen nicht vorgesehen.«
Vorgesehen. Matthias warf Linus einen Blick zu. Er und Ilim ähnelten einander so sehr, daß man sie für Brüder hätte halten können, aber im Unterschied zu Linus schien Ilim von diesem Treffen irgendwie peinlich berührt.
Porciluna schüttelte Linus’ Hand ab. »Laßt es mich erklären, Heiliger Herr. Wir alle wissen, daß Ihr noch niemals an den Roca oder an Gott geglaubt habt. Das hat uns der Rocaan selbst am Tag Eurer Ernennung gesagt. Er sagte, Euer Glaube sei nicht ohne Makel.«
»Der Rocaan hat auch gesagt, daß ein Mann ohne wahren Glauben nicht Ältester werden kann.« Timothy hatte von seinem Platz an der Wand gesprochen. »Habt Ihr ihm das auch geglaubt, Porciluna?«
Matthias unterdrückte ein Lächeln.
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