Fey 03: Der Thron der Seherin
Vielleicht herrschte in der Gruppe doch keine so uneingeschränkte Einigkeit, wie Porciluna gedacht hatte.
»Es muß nicht deswegen wahr sein, weil es der Fünfzigste Rocaan gesagt hat«, erwiderte Porciluna.
»In der Tat«, pflichtete Matthias bei und warf einen vielsagenden Blick auf Porciluna.
»Bleiben wir bei der Sache«, sagte Porciluna. »Tatsache ist, daß Ihr einen Mord begangen habt.«
»Das ist eine schwerwiegende Anklage«, entgegnete Matthias. »Worauf stützt Ihr sie?«
»Auf die Vorfälle während der gestrigen Zeremonie, Matthias. Die Königin ist gestorben.«
»Das stimmt«, sagte Matthias. »Und es ist bedauerlich. Aber es ist eben geschehen.«
»Ihr hört Euch an, als hättet Ihr keinerlei Einfluß darauf gehabt.« Eirman hatte bisher im Schatten gestanden. Jetzt kam er im Lichtschein einer der Fackeln an der Wand näher. »Ihr wußtet, daß das Weihwasser sie töten würde.«
»Bei ihr habe ich kein Weihwasser benutzt«, sagte Matthias. »Ich habe mich an meine Absprache mit dem König gehalten. Ich sagte ihm, ich würde ein Stück Tuch auf ihre Stirn legen, bevor ich sie berührte oder zuließ, daß sie von etwas berührt wurde, und genau das habe ich auch getan.«
»Der Geistliche Danesfen hat ausgesagt, Ihr hättet ihm befohlen, das Tuch in seinem Beutel zusammen mit dem Weihwasser zu verwahren.«
»Ich habe ihm gesagt, er solle es in seinem Beutel aufbewahren. Was er sonst noch darin hatte, konnte ich nicht wissen.«
»Bei den Ställen habt Ihr um das Tuch gebeten. Ich war selbst dabei, als er zuerst das Weihwasserfläschchen und anschließend das Tuch hervorzog«, sagte Linus.
»Das Fläschchen hätte versiegelt sein sollen. Das Tuch schien trocken. Ich konnte nicht wissen, daß irgend etwas damit nicht stimmte.« Matthias zuckte die Achseln. »Als ich es auf dem Altar ausbreitete, war es trocken. Ich achtete darauf, daß es nicht in die Nähe der Flaschen kam. Woher wißt Ihr, daß sie durch das Tuch getötet wurde? Woher wissen wir, ob es nicht in Wirklichkeit die Berührung ihres Mannes war, die sie umbrachte? Er war in der Nähe des Weihwassers. Ihr seid sehr schnell zu dem Schluß gelangt, daß ich es getan habe.«
»Sie hat sich erst verändert, als Ihr die Krone auf ihr Haupt gesetzt habt«, sagte Porciluna.
»Ja, aber es war eine sehr langsame Verwandlung. Die meisten Fey schmelzen schnell.« Matthias warf einen fragenden Blick in die Runde. »Oder bin ich etwa der einzige, der sich daran erinnert?«
»Ihr wolltet sie nicht aus dem Saal entlassen«, wandte Porciluna ein.
»Wir wissen nicht, wodurch ihre Verwandlung ausgelöst wurde. Meiner Ansicht nach war es ein Zeichen des Mißfallens Gottes und des Roca. Ich hielt es für besser, sie an Ort und Stelle zu belassen, damit wir besser begreifen konnten, was eigentlich geschehen war.«
»Die Fey hielten es für besser, sie zu retten.«
»Das war offensichtlich falsch«, gab Matthias zurück. »Es steht unwiderruflich fest, daß ihr Tod Gottes Wille war.«
»Genauso wie es auch Gottes Wille ist, das Weihwasser als Waffe zu benutzen?« fragte Timothy aus seiner Ecke.
»Wenn Gott nicht gewollt hätte, daß wir es auf diese Weise benutzen, hätte er uns niemals die besonderen Eigenschaften dieses Wassers gezeigt.« Matthias schritt weiter in den Raum hinein, bis er vor Porciluna stand. »Wie viele von uns können sagen, daß sie dieses Wasser nicht mit der Absicht benutzt haben, einen Fey zu töten? Was meint Ihr? Vielleicht Timothy? Oder Andre, bevor er verschwand? Und ihr anderen?«
Er blickte zu Eirman hinüber, der den Blick senkte, ebenso wie die übrigen Ältesten, als Matthias sich ihnen zuwandte.
Nur Porciluna hielt seinem Blick unbeirrt stand. »Ihr wart derjenige, der die tödliche Eigenschaft des Wassers entdeckte. Ihr wart derjenige, der den letzten Rocaan davon überzeugte, es auch auf diese Art zu benutzen. Und Ihr seid derjenige, der mit diesem Wasser die Frau tötete, die der König zur Gemahlin genommen hatte. So leicht könnt Ihr Eure Schuld nicht auf uns abwälzen.«
»Das versuche ich nicht«, erwiderte Matthias. »Ich will nur darauf hinweisen, daß man nicht mit zweierlei Maß messen kann. Mord ist eine absichtsvolle Handlung. Aber wenn man das, was vorgefallen ist, auf menschliche Maße reduziert, so muß man es einen Unfall nennen. Und religiös gesprochen war es eine Handlung Gottes.«
»Gott begeht keine Morde«, sagte Porciluna.
»Natürlich nicht«, entgegnete Matthias. »Er handelt im
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