Fey 03: Der Thron der Seherin
hatte er gesagt, dann sind sie auch in der Lage, guten Boden aus diesem Land zu machen. Warum sollten wir uns diese Fähigkeit nicht zunutze machen?
Es zeigte sich, daß Alexander die Fähigkeiten der Fey überschätzt hatte, zumindest was die Urbarmachung des Landes betraf. Auch jetzt noch wurde das Land regelmäßig überflutet, und die Fey waren gezwungen, ihre Häuser immer wieder von neuem aufzubauen, genau wie die Inselbewohner. Nur ein einziges Haus in der Mitte der Siedlung schien von den Fluten verschont geblieben zu sein, und Stowe wußte nicht, ob dies am Boden lag oder ob die Fey dieses Haus durch einen besonderen Zauber geschützt hatten.
Dennoch hatte er in jedem Jahr, in dem er hier vorüberritt, Fey gesehen. Und während die Jahre vergingen und ein Schutzwall um die Siedlung entstand, waren es immer mehr geworden.
Heute nachmittag aber sah er keinen einzigen Fey.
Er ließ sein Pferd halten und spähte vorsichtig in die Siedlung. Das Haupttor und einige Hüttentüren standen offen. Der Matsch vom letzten Regen lag immer noch knöcheltief, und der Gestank vom Fluß her war unerträglich.
Die Siedlung sah verlassen aus.
Sein Herz schlug heftig. Er schnalzte mit der Zunge und ritt durch das Tor. Es dauerte einen Moment, bis das Pferd den Pfad gefunden hatte, den die Fey gewöhnlich benutzten. Er führte leicht erhöht durch den Schlamm und war ebenfalls aufgeweicht, bot aber noch genug Festigkeit.
Die Hütten waren kunstlos gebaut, wie von kleinen Jungen ohne Gespür für harmonische Formen zusammengenagelt. Holz war auf Holz gestapelt worden, und grobe Holznägel hielten die ungleichmäßigen Bretter zusammen. Das Holz am Sockel der Hütten war teilweise schon vermodert.
Bei der ersten offenen Tür hielt Stowe sein Pferd an und saß ab. Vielleicht war es eine Falle, aber er bezweifelte es. Die Fey waren viel schlauer. Die meisten Inselbewohner hätten den Fuß niemals in die Siedlung gesetzt, mochte sie nun verlassen sein oder nicht. Wenn die Fey es auf die Inselbewohner abgesehen hatten, mußten sie schon geschickter vorgehen.
Der Schlamm war zäh, aber der Boden darunter fest. Er folgte dem Pfad bis zu den Stufen, die zur Hütte führten, und rief dabei eine Begrüßung auf Fey. Seine Worte verhallten. Hinter ihm wieherte das Pferd und schüttelte den Kopf, als machte die Stille es nervös.
Ihm selbst erging es nicht anders. Nicht einmal die Vögel ließen sich hören.
Er spähte vorsichtig in die Hütte. Im Raum herrschte Dunkelheit, es gab keine Fenster. Die offene Tür war die einzige Lichtquelle.
In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit selbstgezimmerten Bänken. Auf dem Tisch standen hölzernes Geschirr und die Überreste einer Mahlzeit. Die verschwundenen Bewohner hatten offenbar die Absicht gehabt, zurückzukommen.
Stowe wich zurück. Ohne sich darum zu kümmern, daß seine Stiefel tief im Schlamm versanken, stapfte er zur nächsten Hütte. Die Tür war geschlossen. Er klopfte vorsichtig an und öffnete sie dann.
Außer einem Gewand, das eilig über eine Stuhllehne geworfen worden war, herrschte hier Ordnung. Wieder hatte man das Gefühl, als müßten die Bewohner jeden Moment zurückkehren.
Irgend etwas war geschehen. Etwas, das die Fey veranlaßt hatte, diesen Ort fluchtartig zu verlassen. Wußten sie etwas über Alexanders Mörder? Oder hatte sich irgend etwas anderes in Jahn ereignet und diese Massenflucht ausgelöst?
Eiseskälte breitete sich in seinem Magen aus. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Seit Alexander direkt neben ihm getötet worden war, hatte er sich nicht mehr so beklommen gefühlt.
Stowe rannte aus der Hütte und sprang in den Sattel. Hastig griff er nach den Zügeln und ließ das Pferd einen Weg einschlagen, der sie aus der Siedlung führte. Wieder auf der Straße angekommen, lenkte Stowe das Tier ohne den Umweg über sein eigenes Haus direkt auf den Palast zu. Er mußte unbedingt wissen, was hier vor sich ging.
Die Hauptstraße, die von der Brücke zum Palast führte, lag verlassen da. Keine Menschenseele war auf der Straße zu sehen, und die wenigen Kramläden, die in Jahn überhaupt noch betrieben wurden, waren geschlossen. Die Pferdehufe klapperten leise auf dem Pflaster. Das Geräusch hallte weithin. Hatten alle die Insel verlassen und ihn als letzten Einwohner von Jahn hier zurückgelassen, als Überbringer schlechter Nachrichten, die alle anderen bereits kannten?
Bald hatte er die äußere Palastmauer erreicht. Auch hier waren die Tore geschlossen.
Weitere Kostenlose Bücher