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Fey 03: Der Thron der Seherin

Fey 03: Der Thron der Seherin

Titel: Fey 03: Der Thron der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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Dieses Lächeln war nur für ihn bestimmt. Sie benutzte es nie für jemand anderen, und wenn sie es für ihn aufsetzte, wußte er, daß er etwas Richtiges oder Schlaues oder Wichtiges getan hatte.
    »Du weißt, daß du keine Flügel bekommen kannst. Man muß mit ihnen geboren sein.«
    »Wenn Domestiken Teppiche machen können, warum dann nicht auch Flügel?«
    »Gabe«, erklärte sie und nahm die eigene Schale. »Es gibt unterschiedliche Arten von Magie. Jeder wird mit einer besonderen Fähigkeit geboren. Manchmal dauert es eben eine Weile, bevor man die Fähigkeit erkennen kann. Manchmal, wie bei den Flügeln, sieht man sie sofort.«
    »Und wie kommt es, daß Papa und du Flügel haben und ich nicht?«
    »Weil die Menschen verschieden sind, Gabe. Wir haben uns die Flügel nicht ausgesucht, genausowenig, wie du dir ausgesucht hast, keine zu haben.«
    »Und wer hat dann bestimmt, daß ich hierhergekommen bin?«
    Seine Mutter setzte die Schale ab. Suppe schwappte auf den Tisch, aber sie schien es nicht zu bemerken. »Was meinst du damit?«
    »Du hast gesagt, ich bin anders. Ist das so, weil ich woanders geboren bin? Nicht hier im Schattenland?«
    Sie befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze. Diesen glasigen Ausdruck ihrer Augen hatte er noch nie an ihr gesehen. »Auch ich wurde nicht im Schattenland geboren«, sagte sie schließlich.
    Das hatte sie noch nie erzählt. »Wirklich?«
    »Wirklich«, wiederholte sie. »Und auch dein Vater nicht. Das Schattenland ist nur ein Ort unter vielen, genau wie der Ort, an dem du geboren wurdest. Ich wurde in Nye geboren. Das ist weit weg über dem großen Meer. Es ist nicht der Ort deiner Geburt, der dich zu etwas Besonderem macht, Gabe. Wer du bist und welche Fähigkeiten du besitzt, das macht dich zu etwas Besonderem.«
    »Aber du sagst immer solche Sachen über mein Erbe.«
    »Dein Erbe.« Jetzt stieg kein Dampf mehr aus ihrer Schale auf. Auch das schien sie nicht wahrzunehmen. Sie lehnte sich mit geschlossenen Flügeln rückwärts auf die aufgestützten Hände. »Mit Erbe meinen wir deine Fähigkeiten, Gabe.«
    Er runzelte die Stirn. Als sie Erbe sagte, hatte sie etwas anderes gemeint. Aber er wollte sich nicht mit ihr streiten. Wenn seine Fähigkeiten sich zeigten, würde er fragen, wie er sie erworben hatte. Manchmal nahmen die Leute ein Kind ernster, wenn es älter war, nicht, weil das Kind dann klüger, sondern weil es größer war.
    Seine Mutter starrte ihn einen Augenblick lang an, dann hob sie die Schale zum Mund und trank. Gabe war zuerst fertig, stellte die Schale hin und rülpste. Dann stand er auf. Er spürte das Bedürfnis zu rennen, sich zu bewegen. Er hatte den ganzen Morgen gesessen.
    »Gabe.« Seine Mutter setzte ihre Schale ab. »Ich möchte, daß du noch ein bißchen sitzen bleibst. Dein Großvater kommt heute nachmittag.«
    Gabe ließ sich wieder auf den Teppich fallen. Er legte den Arm über die Augen. »Muß das sein?«
    »Er hat dich lange nicht gesehen.«
    Wollte man Gabes Meinung dazu hören, war das auch gut so. Er wußte, daß es an Großvater Rugar lag, daß sie diese Hütte und all die schönen Sachen besaßen, aber Gabe verstand nicht, warum er deswegen nett zu ihm sein mußte. »Ach ja?«
    »Er will nachsehen, wie es dir geht.«
    Gabe zuckte die Achseln. »Er kann doch nachsehen, wenn ich schlafe.«
    »Gabe!«
    Gabe warf einen Blick zur Tür, als könnte Großvater Rugar jeden Augenblick eintreten. Die Tür war geschlossen, wie immer. »Er ist nicht nett.«
    Seine Mutter stellte ihre Schale hin. Dann legte sie die Hände auf die Oberschenkel, wie immer, wenn sie zuhörte. »Wie meinst du das?«
    »Er sagt böse Sachen zu dir.«
    Diesmal lächelte sie nur schwach, so, wie sie sonst seinen Vater anlächelte, wenn der etwas sagte, was ihr mißfiel. »Er herrscht über das Schattenland.«
    »Deswegen braucht er nicht so mit dir zu reden.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Was meinst du mit ›so‹, Gabe?«
    »Er denkt, ich höre ihn nicht, und dann sagt er zu dir, daß du längst wissen solltest, was ich alles kann. Er sagt, du übst nicht genug mit mir und daß ich mehr Magie haben müßte als alle anderen zusammen. Es hört sich so an, als wäre es deine Schuld, daß ich nicht mache, was er will.« Tränen stiegen in Gabes Augen. Er rieb sie mit den Fäusten weg, denn er wollte nicht weinen wie ein kleines Kind.
    »Er setzt eben große Hoffnungen in dich, Liebling.«
    »Er will mich bloß benutzen.«
    Seine Mutter öffnete den Mund ein wenig,

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