Fey 03: Der Thron der Seherin
Mann saß vor einem Laden auf einem Stuhl und wartete offensichtlich auf Kundschaft.
Die Nachricht vom Tod des Königs war mit Schweigen aufgenommen worden. Solanda fragte sich, was Rugar erwartet hatte. Klagerufe? Freudengeschrei? Dann würde sie ihn enttäuschen müssen. Wenn überhaupt etwas zu berichten war, dann dies, daß alles war wie immer.
Niemand schien sich darum zu kümmern.
Selbst sie, eine eher zynische Fey, hätte das nicht vorhersagen können.
»Schau mal, Mama!« rief einer der kleinen Jungen in der Inselsprache. »Ein Kätzchen!«
Die Mutter preßte ein Hemd an die Brust, während sie sich umdrehte. Mit ängstlichem Blick suchte sie das Gelände ab, bis ihr Blick auf Solanda fiel. »Bleib bloß weg da«, schrie sie. Dann ließ sie das Hemd fallen und rannte ins Haus.
Um Gift zu holen.
Der kleine Junge ging trotzdem auf Solanda zu, obwohl sein kleiner Gefährte ihn an das Verbot der Mutter erinnerte. Aber Solanda hatte diesen Blick schon früher auf Kindergesichtern gesehen. Die Faszination, gepaart mit völliger Abwesenheit von Furcht.
Die Entschlossenheit, sie am Schwanz zu packen und daran zu ziehen.
Sie machte einen Satz über die Straße und verschwand im Gebüsch. Die andere Katze, ein knochiger schwarzer Kater, sprang fauchend, spuckend und kratzend durch eine Öffnung, als Solanda vorüberstob. Sie flitzte an ihm vorbei und hoffte, er würde das Kind hören und Verstand genug besitzen, sich davonzumachen.
Als sie das Ufer erreichte, warf sie einen Blick über die Schulter. Der kleine Junge stützte sich mit einer Hand ab, während er die lehmige Böschung hinunterkrabbelte. Seine Mutter stand vor dem Haus, ein Fläschchen mit dem Gift der Inselbewohner in der linken Hand.
»Bei den Mächten«, entfuhr es Solanda auf Fey, ohne Rücksicht darauf, ob jemand sie hörte.
Der Kater, der Solanda verfolgte, blieb verwirrt stehen, weil er noch nie solche Laute von einer Katze gehört hatte. Solanda flitzte am Ufer entlang, ohne groß darauf zu achten, nur auf die trockensten Stellen zu treten, um Spuren zu vermeiden. Sie rannte, so schnell sie konnte, wohl wissend, daß sie bei diesem Tempo niemand einholen konnte. Ihr geschmeidiger Körper war dafür gebaut, im Verborgenen zu jagen, und sie wußte ihn zu gebrauchen.
Das einzige Problem war, daß sie dieses Tempo nicht durchhalten konnte.
Plötzlich ragte eine Mauer vor ihr auf. Sie war neu, aber schlampig hochgezogen: Die Abschlußsteine waren zur Seite geneigt, die hölzernen Planken paßten nicht und ließen große Lücken frei. Solanda war schon einmal hier gewesen, aber damals war die Mauer erst halb fertig gewesen.
Die Siedlung. Dort drinnen war sie in Sicherheit.
Solanda sprang auf einen Steinhaufen, der sich über den Schlamm erhob, drehte sich noch einmal um und fluchte, als sie Pfotenabdrücke auf den Steinen entdeckte. Sie konnte es nicht ändern. Nicht jetzt.
Der Kater erschien auf der Anhöhe, hinter ihm der kleine Junge und ihnen auf den Fersen die schreiende Frau. Solanda schnalzte dem Kater in der Hoffnung zu, er werde sie verstehen und die Richtung ändern, dann erst schlüpfte sie durch den engen Spalt in der Mauer.
Sie landete auf einem glitschigen Stapel verrottender Bretter. Ihre Pfoten glitten aus, und sie rettete sich durch einen Sprung zur Seite. Hinter ihr polterten die Planken mit dumpfem Aufprall auf den feuchten Erdboden.
Solanda hörte die Frau noch immer schreien.
Der Kopf des Katers erschien in der Mauerritze, fauchte sie empört an und zog sich wieder zurück. Solanda wünschte ihm viel Glück.
Drei Fey starrten sie an. Solanda erkannte zwei junge Domestiken. Der dritte war Burden, mit Werkzeug in der rechten und einem Brett in der linken Hand. Alle drei waren so schrecklich dünn, daß ihre Knochen unter der Haut hervorstanden. Die Gebäude hinter ihnen waren eilig zusammengezimmert worden und zeigten bereits ernste Wasserschäden. Das also war die große Hoffnung der Fey, Jewels Vision von Frieden und Harmonie zwischen den feindlichen Parteien.
Zum ersten Mal war Solanda dankbar, daß sie selbst im Schattenland lebte. Die Stimme der Frau drang sogar durch die Mauer. Sie brüllte ihr Kind an, wegzugehen, dann sagte sie etwas darüber, der Gefahr ein für allemal ein Ende zu bereiten.
Solanda seufzte und Wandelte ihre Gestalt.
Ihr Körper streckte sich und verließ die bequeme Katzengestalt. Das Ziehen löste eine beinahe erotische Erregung aus, die Wandlung geschah unmerklich und großartig
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